Finanzterrorismus und Navigationsjournalismus

Kommentar von Tibor Zenker zu den „Panama Papers“, ihrer Bedeutung und dem medialen Umgang damit
 
Oh, wie schön, dass es investigativen Journalismus gibt! Nie wäre man sonst auf die Idee gekommen, dass in unserer Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung im großen Ausmaß systematischer Beschiss zugunsten der Reichen und Superreichen existiert. Unternehmen und Konzerne, Milliardäre und Millionäre, gut betuchte Sportler und Künstler, korrupte Politiker und hauptberufliche Kriminelle nützen offenbar legale, halblegale und illegale Möglichkeiten, um ihr Vermögen steuerschonend zu verstecken und/oder – im Falle allzu fragwürdiger Herkunft – weiß zu waschen. Hierbei sind ihnen Banken, Anwaltskanzleien und sogar staatliche Einrichtungen behilflich. Man möchte es kaum glauben. Gar nicht auszudenken, was für andere Schweinereien im Kapitalismus sonst noch möglich sein könnten! Wer weiß? Am Ende werden kapitalistische Vermögen womöglich gar nur durch maximale Ausbeutung der arbeitenden Menschen angehäuft?
 
Natürlich werden sie das. Das ist ja das Grundprinzip das Kapitalismus: Die Masse der Menschen arbeitet – und wird niemals reich. Eine kleine Minderheit, die nicht arbeitet, wird dafür aber immer reicher. Das ist der Deal. So weit, so altbekannt. Dieses Wirtschaftssystem will aufrechterhalten werden, nämlich mittels des bürgerlichen Staates, der die nötigen Gesetze beschließt und die Verwaltung unternimmt. Seine Hauptaufgabe besteht darin, die Profitmaximierung zu gewährleisten (und damit gleichzeitig die Ausbeutung und Niederhaltung der arbeitenden Massen). Das kostet denn doch ein bisschen Geld, das vornehmlich-klassisch über Steuern eingenommmen wird. Die Lohnsteuern und Massensteuern dürfen hierbei den Hauptteil ausmachen, die Kapital- und Vermögenssteuern müssen minimiert bleiben. Doch sie sind den Kapitalisten und Reichen immer noch zu hoch. Deswegen stellt ihnen der Staat einerseits legale Mittel der Steuerhinterziehung zur Verfügung (z.B. Privatstiftungen), andererseits nützen die Kapitalisten und Reichen internationale Schlupflöcher und Steueroasen, was manchmal zumindest formell legal ist, manchmal illegal, in jedem Fall aber moralisch letztklassig. Diese Steuerhinterziehung seitens der kapitalistischen Steuerflüchtlinge bedeutet nichts anderes als Finanzterrorismus gegenüber der Gesellschaft: Dem Staat, der ausgabenseitig dem Kapital auch noch einiges an Subventionen, Geschenken und Rettungsgeld reinschieben muss, fehlt das ent- und hinterzogene Geld einnahmenseitig, er „muss sparen“, er arbeitet mit Krediten, die er nicht zurückzahlen kann, er verschleudert lukrativen Staatsbesitz (an das Kapital, eh klar), er kürzt Sozialleistungen, Bildung, Gesundheit und Pensionen für die arbeitenden und „normalen“ Menschen, für die aber dafür abermals die Steuern erhöht werden. Der Kapitalismus beutet aus und die kapitalistische Steuerhinterziehung ruiniert zusätzlich das bürgerliche staatlich-gesellschaftliche System, mit dem Ergebnis: Die arbeitenden Menschen müssen für ihre organisierte Ausbeutung und Unterdrückung, für ihre sklavische Gefangenschaft selbst blechen; die Ausbeuter und Reichen bringen ihre Schäfchen einstweilen ins Trockene, d.h. früher nach Luxemburg, Liechtenstein oder in die Schweiz, heute in die Karibik, nach Ozeanien, in bestimmte US-Bundesstaaten oder eben nach Panama, wo die Steuerbehörden keinen Zugriff haben. Für diese 08/15-Einsichten hätt’s kein neues Datenleck gebraucht.
 
Gegenwärtig wird also ein quantitativ bemerkenswertes Ausmaß an Daten namens „Panama Papers“ öffentlich thematisiert, wo es um Offshore-„Dienstleistungen“ einer panamaischen Anwaltskanzlei im Sinne von Steuervermeidung und Geldwäsche zugunsten der Reichen geht. Weltweit waren zig Medienunternehmen und hunderte Journalisten mit der „Auswertung“ der Daten beschäftigt, ehe nun mit viel Getöse an die Öffentlichkeit gegangen wurde, was natürlich entsprechend aufgeblasen und inszeniert werden muss. Selbstverständlich sind die Medien dabei nicht neutral, sondern sie konzentrieren sich gerne darauf, was ihr veröffentlichtes Weltbild stützt. Deshalb scheint es in Westeuropa vorrangig von Interesse zu sein, die üblichen bösen Kerle anzuprangern, insbesondere Wladimir Putin, obwohl dessen Name in den „Panama Papers“ gar nicht vorkommt – aber, Abrakadabra, gerade das ist ja das Verdächtige, um nicht zu sagen: ein klares Indiz für seine Verwicklung! Und der syrische Präsident Assad, weil der ist sowieso der neue Hitler. OK, bekämpft zwar den IS und befreit Palmyra (nicht nur die Ruinen, auch Menschen), aber trotzdem ein Arsch. Nun besteht wenig Anlass, daran zu zweifeln, dass sowohl Putin als auch Assad ihre Positionen durchaus dazu genützt haben, um auch ein gewisses Privatvermögen zweifelhafter Provenienz anzuhäufen, aber die Ausrichtung, die Konzentration der medialen Berichterstattung ist doch vielsagend. Man will ja nicht von der westlichen Kriegsparteilinie und von der imperialistischen Kurssetzung abweichen und „verwechselt“ wieder einmal Berichterstattung mit Meinungsmache. Verantwortungsvoll ist anders, Objektivität etwas ganz Anderes.
 
Natürlich wurden vor dem Hintergrund des US-amerikanisch finanzierten ICIJ-Hintergrunds bereits Vorwürfe laut, die Veröffentlichkeitsarbeit rund um die „Panama Papers“ oder gar eine vorab geschehene Filterung würden westliche, insbesondere nordamerikanische (aber auch deutsche) Unternehmen, Personen, Politiker und deren Interessen schützen. Bei genauerem Hinsehen ist das bezüglich der US-Interessen zumindest indirekt nicht der Fall, wurden doch wichtige ausländische Schlüsselpersonen des global tätigen US-Imperialismus belastet, darunter der westukrainische Machthaber Poroschenko, König Salman von Saudi-Arabien, der neue argentinische (anti-peronistische) Präsident Macri, der für den Putsch gegen Rousseff zuständige brasilianische Parlamentspräsident Cunha, der frühere irakische Premier Allawi sowie der Vater des britischen Premierministers Cameron. Dies betrifft durchwegs wichtige Verbündete der USA. Immerhin. Ändert aber wenig bis gar nichts daran, dass US-amerikanische Konzerne, Politiker und Milliardäre trotzdem (bislang) nicht vorkommen. Das kann unterschiedliche Gründe haben. Die Beziehungen zwischen den USA und Panama sind einerseits historisch und politisch kompliziert, andererseits sehr eng, was auch Abkommen zur Steuerinformation impliziert – gut möglich, dass US-Amerikaner Panama eben gerade nicht als „sicheren Hafen“ für ihr Vermögen betrachten. Anders gesagt: Sie sind vielleicht einfach woanders Kunden eines ähnlichen Anbieters, denn trotz der ausschweifenden Tätigkeit der Firma handelt es sich bisher doch nur um die Spitze eines weit größeren Eisberges. Das gilt aber auch für die vorläufig bekannten Informationen zu Mossack Fonseca selbst – mag sein, dass da noch was kommt. Überprüfbar ist einstweilen nichts, da die vollständigen Daten Redaktionsgeheimnis sind – sie wurden eben nicht öffentlich zugänglich gemacht wie etwa bei Wikileaks. Und hier haben wir ein Problem: Das Ergebnis der „Panama Papers“ sind nur Zeitungsartikel und Fernsehsendungen mit redaktionell ausgewählten Inhalten. Es ist keineswegs Aufklärungs- und Ermittlungsarbeit. Dass es sich jedoch bei der ganzen Causa überhaupt nur um eine CIA-Verschwörung gegen Putin handelt, ist dennoch weit hergeholt, um es freundlich zu formulieren.
 
Klar ist aber: Natürlich wurden bei der Anwendung der Daten durch die Redaktionen, d.h. bei der Suche nach verwertbaren Informationen, bestimmte Parameter eingesetzt, die sich mehrheitlich auf „Feinde“ des westlichen Imperialismus beziehen und zu entsprechenden Ergebnissen führen müssen. Es ist nachvollziehbar, dass eine solche Vorgehensweise grundsätzlich notwendig ist, wenn die Gesamtmenge der Daten derart unüberschaubar erscheint. Aber das ist eben wie auch mit jeder Google-Suche: Was ich nicht als Suchbegriff ein- oder als Verknüpfung angebe, wird auch nicht erscheinen – oder höchstens zufällig als Randnotiz. Und nur Suchergebnisse, die mir, meinen Vorgesetzten und den Eigentümern eine brauchbare Story liefern, werde ich weiterverfolgen. Schließlich geht es auch, für manche sogar vorrangig, um Auflagenzahlen, Klicks und Einschaltquoten.
 
Ist das wirklich Investigationsjournalismus? Bestenfalls bedingt. Abgesehen von der problematischen Anwendung, wurden die Daten einfach bei der Münchner SZ abgegeben, sie wurden weder gesucht noch gefunden. Geklaut/gehackt und weitergegeben wurden sie wohl entweder durch einen (ehemaligen) Mitarbeiter von oder einen Menschen mit Naheverhältnis oder zumindest einer Beziehung zu Mossack Fonseca – dass ein Hobby-Hacker mit ausgeprägtem Gerechtigkeitssinn rein zufällig auf diese Firma stößt, erscheint unwahrscheinlich. Oder es war, professionell ausgeführt, ein Nachrichtendienst, der die SZ bedient hat (vielleicht ja einfach ein freundlicher Nachbar aus Pullach im Isartal). Wie dem auch sei: Ob man nun wirklich von westlichen Massenmedien, die meisten davon in große Konzerngeflechte eingebaut – davon möge man den Wiener „Falter“ freilich ausnehmen –, erwarten soll, die fragwürdigen Machenschaften des westlichen Kapitalismus „aufzudecken“? Wer in diesem Kontext an einen unabhängigen Journalismus glauben möchte, könnte ebenso gut an den Osterhasen glauben, denn der Überbau untergräbt nunmal nicht seine Basis. Das bedeutet keineswegs, dass nicht aufrichtige, integre Journalisten an der Causa gearbeitet hätten, aber kapitalistische Abhängigkeitsverhältnisse funktionieren eben auch indirekt und subtil, ohne dass sich jeder Handlanger seiner Schuld oder Mittäterschaft bewusst sein muss.
 
Was wird nun also bleiben von den „Panama Papers“? Die Medien werden uns noch ein paar weitere „schwarze Schafe“ präsentieren, bis es den Konsumenten zu langweilig wird, was recht bald eintreten dürfte. Sofern tatsächlich strafbare Handlungen nachgewiesen werden können, wird es im Idealfall für manche Personen strafrechtliche Konsequenzen geben. Was nicht leicht wird, denn vieles ist zwar verwerflich, aber schlichtweg nicht illegal. Und ohne Datenzugriff wird sowieso niemand verurteilt werden können, denn kein Staatsanwalt der Welt wird seine Anklage auf (zudem unzulänglich belegte) Zeitungsartikel oder auf einer ORF-Sondersendung aufbauen. Vielleicht kommt es hier und dort zu politischen Folgeerscheinungen (wie in Island), vielleicht zu gewissen legislativen Folgen, die eine Lücke stopfen, andere offen lassen. Die Tatsache aber, dass die ganze Systematik letztlich eines der Ergebnisse des ganz normalen Kapitalismus ist, wird man medial und politisch gekonnt verschweigen. Natürlich sind’s wieder nur außergewöhnliche Auswüchse und, wenngleich viele, so doch Einzelfälle, ja ruchloser Missbrauch eines ansonsten tollen demokratisch-freien Wirtschaftssystems mitsamt dazugehöriger Politik. Das System selbst soll und darf keinen Schaden nehmen. Auch diese Steuerung der Empörung ist eine Aufgabe der Systemmedien: Die vorherrschende Meinung soll den Herrschenden dienen.
 
Damit kommen wir nochmals zur „Auswahl“ der bisherigen „Berichterstattung“ zurück. So sehr sie auch zu hinterfragen ist – es ist in Wirklichkeit ganz egal, welche Personen an den Pranger gestellt werden. Es spielt gar keine Rolle, ob es nun lediglich oder vornehmlich russische, arabische oder lateinamerikanische Kapitalisten sind, während nordamerikanische und westeuropäische fehlen oder unterrepräsentiert sind. Es geht nie um Personen, denn diese sind auswechselbar. Es geht immer um das System, das ausgewechselt gehört. Und das gilt für Russland wie für die USA, für Europa wie für Panama. Um dem internationalen Finanzterrorismus das Handwerk zu legen, muss man seine Wurzeln beseitigen.
 

Tibor Zenker, stv. Vorsitzender der Partei der Arbeit Österreichs

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