Das Gift des Imperialismus

Kommentar von Tibor Zenker, stv. Vorsitzender der Partei der Arbeit Österreichs

Der erste effektivere Einsatz chemischer Waffen in der Geschichte der Kriegsführung fällt in den Ersten Weltkrieg – und es möge niemanden überraschen, dass es zuerst ausgerechnet die deutschen und die österreichischen Armeen waren, die bedenkenlos tausende französische, russische und italienische Soldaten vergifteten. Die Einführung von chemischen Kampfstoffen im Nahen Osten ist wiederum das Verdienst Großbritanniens – Kriegsminister Winston Churchill forcierte deren Einsatz im Kampf gegen Araber und Kurden ab 1919. In Nordafrika operierten spanische Truppen in den 1920er Jahren mit Giftgas, mit französischer und deutscher Hilfe. Auch der italienische Äthiopienfeldzug basierte u.a. auf Chemiewaffen. Durch das Genfer Protokoll von 1925 ist der Ersteinsatz von B- und C‑Waffen verboten, die meisten militärisch relevanten Staaten, darunter auch die UdSSR, haben dies noch deutlich vor dem Zweiten Weltkrieg ratifiziert. Einzige Ausnahmen: Japan (1970 ratifiziert) und die USA (1975). Die Japaner setzten chemische Waffen im Zweiten Weltkrieg gegen die chinesische Bevölkerung ein, die US-Armee setzte unter Präsident Kennedy massiv auf Chemikalien beim Angriff auf Vietnam und Laos in den 1960er Jahren. Es waren also die imperialistischen Staaten Nordamerikas und der heutigen EU, die das Giftgas als Kriegswaffe erfunden – und im großen Stil eingesetzt haben. Diese Kriegsverbrechen des Imperialismus werden in ihrer Intensität historisch lediglich durch den Einsatz von Atombomben durch die USA 1945 übertroffen.

Nun soll die syrische Armee abermals Giftgas eingesetzt haben im Kampf gegen „aufständische Rebellen“ (vielmehr djihadistische Terrorbanden) – und dabei absichtlich auch Zivilisten erwischt haben. Zumindest wird diese Auffassung von den Machthabern in Washington und London vertreten, in Brüssel, Paris und Berlin unhinterfragt übernommen – ebenso von den meisten westeuropäischen Medien. Niemand verlangt Beweise, die es nicht gibt, niemand fragt nach der Logik, die erstrecht nicht vorhanden ist. Stand der Dinge ist, dass die syrische Regierung und ihre Armee gerade dabei sind, den Krieg zu gewinnen – als Territorialarmee ist der „Islamische Staat“ besiegt, die restlichen Djihadisten sind aussichtslos eingeschlossen und werden Schritt für Schritt vertrieben, was freilich auch der russischen Unterstützung geschuldet ist. Abgesehen vom türkischen Eindringen in Rojava, wäre es nur noch eine Frage der Zeit, bis Syrien relativ vollständig wieder unter der Kontrolle der Regierung Assads stünde. Und in diesem Moment beschließt „das Tier“ Assad, es wäre der richtige, um endlich wieder Giftgas einzusetzen, um 40 Zivilisten auf diese Weise zu töten. Bloß: Warum? Um 40 Menschen zu massakrieren, braucht es kein Giftgas – dafür genügt ein einzelner syrischer Kampfhubschrauber. Oder ein halber russischer Kampfjet. Also warum? Mit der laufenden, konventionellen Rückeroberung der „Rebellen“-Gebiete liegt vor Assad eine Win-win-Situation: Entweder er besiegt alle Feinde bis zum letzten Mann, auch wenn dies noch ein paar Monate dauert; oder er setzt sich aus der Position der Stärke an den Verhandlungstisch, um mit russischer und iranischer Unterstützung ein Friedensabkommen zu seinen Bedingungen zu erwirken, dem sich auch die UNO nicht verschließen kann. Aber nein! Er zieht es vor, eine militärisch unbedeutende Anzahl von Menschen in einem Gebiet, das ohnedies gerade von den „Rebellen“ geräumt wird, mit chemischen Kampfstoffen zu ermorden. Das ist natürlich viel vorteilhafter. Denn gegen die erwartbare globale Empörung der „westlichen“ Regierungen und ihrer Medien lassen sich seine Ziele ja viel besser und einfacher umsetzen…

Warum also der syrische Giftgaseinsatz? Darauf gibt es nur zwei mögliche Antworten: Entweder Assad ist ein blutrünstiger Psychopath, dem es Spaß macht, Menschen zu töten – selbst wenn er deswegen doch noch den Krieg verlieren könnte; oder er ist einfach ein politischer Dummkopf. Natürlich trifft weder das eine noch das andere zu. Man muss die Staatsauffassung der syrischen Baath-Partei und die regionale Bündnispolitik der Damaszener Regierung bei Gott nicht gutheißen – sie sind jedoch objektiv weder verrückt noch unintelligent. Die Behauptung, die auf der Siegerstraße befindliche syrische Armee würde nun ihre Erfolge durch einen politisch unsinnigen, ja sogar widersinnigen, zudem militärisch nutzlosen Giftgaseinsatz diskreditieren oder gar opfern, ist einfach absurd und letztlich lächerlich. Anders gesagt: Es gibt keinerlei vernünftiges Motiv für Assad, das sich argumentieren ließe, ohne idiotisch zu klingen.

Also sei nochmals die Frage gestellt: Warum der angebliche Giftgaseinsatz? Wem nützt es? Eigentlich nur den imperialistischen und islamistischen Gegnern der syrischen Regierung. Sie können sich als moralisch überlegen ausgeben, obwohl sie die weltweit und historisch größten Kriegsverbrecher mit djihadistisch-terroristischen Stellvertreter-Bodentruppen in Syrien sind. Sie werden versuchen, die UNO angesichts dieses beispiellosen Verbrechens in Geiselhaft zu nehmen. Sie werden Vergeltung fordern (die israelische Armee dürfte diesbezüglich auch schon aktiv gewesen sein). Sie werden hier ihre Rechtfertigung finden, um massiver militärisch einzugreifen, wie es US-Präsident Trump bereits anklingen ließ. Das britische Schoßhündchen pariert, die NATO-Gigolos aus Brüssel und Berlin folgen.

Wenn eine Tat nun dem vermeintlichen Täter nur schadet, hingegen aber jemand anderem deutlich nützt, so ist man kriminalistisch gut beraten, nochmals über Tat und Täterschaft nachzudenken. Es liegt der Verdacht nahe, dass es – sofern die Tat überhaupt stattfand und keine reine Inszenierung für TV-Kameras war – ein benötigter Vorwand war, um losschlagen zu können. Ohne Beweise, lediglich aufgrund von Behauptungen und Beschuldigungen.

Kommt bekannt vor? Ja, kennen wir: Natürlich waren es nicht die Kommunisten, die den Berliner Reichstag angezündet haben. Es waren keine polnischen Soldaten, die den Sender Gleiwitz überfallen haben. Keine vietnamesischen Kriegsschiffe haben vor Tonkin die US-Navy angegriffen. Die jugoslawische Armee hat im Kosovo keine ethnischen Säuberungen durchgeführt. Und im irakischen Wüstensand finden sich noch immer keine Massenvernichtungswaffen. Aktuell gibt es keinen Beweis, dass der russische Geheimdienst den seit Jahren nachrichtendienstlich völlig wertlosen Herrn Skripal vergiftet hat – und v.a. abermals keinen vernünftigen Grund dafür. – Doch der Vorwand für die Eskalation und letztlich den Angriffskrieg ist jedes Mal gegeben. Und in diesem Fall könnten die Folgen besonders verheerend und umfangreich sein.

Offenbar hat die US-Regierung beschlossen, den dem Imperialismus gesetzmäßig innewohnenden Kampf um die Aufteilung der Welt zuzuspitzen. Die Vergiftung des diplomatischen Klimas, Wirtschaftssanktionen, Stellvertreterkriege und inszenierte „Farbrevolutionen“ reichen nicht mehr aus. Es gibt seitens der USA die Bereitschaft zum direkten Großmachtkonflikt, der auch militärisch geführt wird. Dabei geht es natürlich nicht um Syrien oder um Assads Kopf – und schon gar nicht um 40 Giftgastote. Es geht nicht nur um Rohstoffe, Transportwege, Marktanteile und Investitionsmöglichkeiten, sondern vermehrt um geostrategische Positionen. Es geht um die globale Hegemonieposition der USA und ihrer Verbündeten. Diese ist ökonomisch und währungstechnisch längst verloren und nur noch militärisch durchsetzbar. Dem Aufstieg Chinas haben die USA nichts mehr entgegenzusetzen als die Gewalt – und das erste Ziel ist der engste chinesische Verbündete, nämlich Russland, das sich aber auch selbst als Kontrahent aufstellt. Gelingt es den USA, die Welt in einen dritten großen imperialistischen Krieg zu stürzen, so stehen auch die menschliche Zivilisation und letzten Endes das Überleben des Menschen als Spezies auf dem Planeten Erde – oder zumindest in bestimmten Regionen desselben – zur Disposition.

Es könnte aber auch sein, dass sich die USA bündnispolitisch verrechnen: Die Spaltung der BRICS-Gruppe, die v.a. über Brasilien versucht wird, ist nicht gegessen, die Türkei wird zusehends unberechenbarer und in der Ukraine kann alles flott wieder in die andere Richtung kippen. Und ob sich die post-Brexit-EU als Frontstaatenbündnis von den USA tatsächlich in diesen Krieg treiben lässt, ist (auch wenn es momentan tendenziell so aussieht) auch noch nicht entschieden, denn zumindest für Berlin und Mittel-/Osteuropa (inkl. Österreich) gibt es noch die andere strategische Option, wenngleich für diese nur noch wenig Zeit bleibt. Ob transatlantische oder eurasische Positionierung der Politik ist für die Völker selbst jedoch ohnedies nur eine Frage der Frontlinie, nicht aber des Frontdienstes. Wirklich verhindern kann den dritten globalen Waffengang nur eine starke gesellschaftlich progressive, friedensorientierte Massenbewegung von unten – international und in den einzelnen Ländern.

Davon scheinen wir freilich weit entfernt zu sein, doch im Krisen- und/oder Kriegsfall – auch das ist aus der Geschichte zu lernen – kann es schneller gehen, als den Herrschenden lieb ist. Ihre Lügen zu entlarven und ihnen die Waffen aus den Händen zu schlagen, ist das Gebot der Stunde. Doch es wird nicht reichen, dem Imperialismus den militaristischen Giftzahn zu ziehen, es wird notwendig sein, der Hydra alle Köpfe abzuschlagen und die Hälse auszubrennen. Erst jenseits des Kapitalismus liegt eine nachhaltige Welt ohne Unterdrückung, Ausbeutung und Krieg.

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