70 Jahre DDR

Kommentar von Tibor Zenker, stv. Vorsitzender der Partei der Arbeit Österreichs

Am 7. Oktober 1949 wurde die Deutsche Demokratische Republik gegründet. Der erste Versuch im deutschsprachigen Raum, ein sozialistisches Gemeinwesen zu schaffen, sollte 40 Jahre währen und fiel vor 30 Jahren der Konterrevolution zum Opfer.

Die Konstituierung der DDR war die Antwort auf die Bedingungen und Probleme ihrer Zeit und Vorgeschichte: Der deutsche Faschismus hatte im Auftrag des Monopol- und Finanzkapitals die Arbeiterbewegung in Deutschland zerschlagen, die bürgerliche Demokratie ausgeschaltet und eine offene Diktatur mitsamt Terrorsystem errichtet. Die Nazis begannen einen imperialistischen Eroberungs- und Vernichtungskrieg, mit dem sie den Großteil Europas der Zerstörung preisgaben, zig Millionen Menschen ermordeten und sich an mehreren Genoziden versuchten. Nicht das deutsche Volk brauchte neuen Lebensraum, sondern das Kapital Platz zur Entfaltung, Rohstoffe, Ressourcen, billigste Arbeitskräfte, Einflusssphären, geostrategische Stützpunkte und Zugänge, um im Kampf um die imperialistische Hegemonialposition zu reüssieren. Nebenbei sollte mit der UdSSR der erste sozialistische Staat der Welt zerstört werden.

Doch es kam anders: Die Völker der Sowjetunion, die Rote Armee, die politische und militärische Führung der UdSSR, antifaschistische Widerstandsgruppen und Partisanen in vielen Ländern Europas rangen die faschistische Bestie unter immensen Verlusten nieder. Die Mörderbanden der Wehrmacht und der Waffen-SS sowie deren Verbündete wurden aus der UdSSR vertrieben, bis nach Deutschland verfolgt und in Berlin gestellt – es ist das unauslöschliche Verdienst der UdSSR und der kommunistischen Bewegung, den Großteil Europas vom Faschismus befreit und die Nazis besiegt zu haben.

Wer aber den Faschismus als äußerste innere Konsequenz des Monopolkapitalismus nachhaltig besiegen und niederhalten will, muss seine Grundlagen, seine Wurzeln beseitigen – und diese liegen direkt im Kapitalismus und Imperialismus. Als nach dem Zweiten Weltkrieg klar wurde, dass die Westalliierten mit der BRD einen antisozialistischen Frontstaat errichten, diesen wiederbewaffnen, die faschistischen Eliten großteils wieder einsetzen und letztlich dort auch NATO-Atomwaffen und ‑Verbände mit Ausrichtung Osten stationieren, war bewiesen, dass die Herrschenden in Washington und London ihr Zweckbündnis mit Moskau, die Anti-Hitler-Koalition, endgültig aufgekündigt und den Sozialismus (wieder) zum neuen Hauptfeind erkoren hatten. Das war nur logisch, denn Faschismus und Weltkrieg hatten den Kapitalismus insgesamt diskreditiert, auch den US-amerikanischen und britischen: Die Völker wollten Frieden, Sicherheit und ein menschenwürdiges Leben – Dinge, die der Kapitalismus wohl für eine gewisse Zeit vortäuschen, aber niemals nachhaltig für alle gewährleisten kann.

Dass in den Ländern Ost- und Südosteuropas, aber auch in China damals volksdemokratische Staaten geschaffen wurden, die sozialistische Umwälzungen vollzogen, war die einzig richtige, die notwendige Reaktion darauf. Niemals war die Frage deutlicher gestellt: Sozialismus oder (Rückfall in die faschistische) Barbarei. Die DDR war die klare sozialistische und antifaschistische Antwort, die damals im Bereich der sowjetischen Verwaltungszone Deutschlands möglich war. Sie versprach Frieden, soziale Sicherheit, Gleichheit und Gerechtigkeit, Arbeit und Wohnraum für alle, staatliche Garantien im Bereich Bildung, Gesundheit und Altersversorgung als Selbstverständlichkeit. Sie versprach aber nichts Unmögliches.

Denn dies ist das zumeist angelegte falsche Maß, das in Bezug auf die DDR und andere sozialistische Länder angewendet wurde und wird: Kurz nachdem der Kapitalismus Europa in Schutt und Asche gelegt hatte, „erwartete“ man sich auf provokante Weise im Sozialismus, der tatsächlich aus Ruinen auferstehen musste, ein irdisches Paradies, die Verwirklichung einer Art Schlaraffenland, in der jedermann sofort wunschlos glücklich wäre. Doch das ist der Sozialismus nicht und kann es nicht sein. Auch ist der Sozialismus kein Narrenparadies, wo jeder tun und lassen kann, was ihm gerade in den Kram passt – diese Art von Individualismus hat nichts mit Freiheit zu tun. Die sozialistische Revolution ist kein Zaubertrick, mit dem alle Probleme der Welt und der Menschheit im Handumdrehen gelöst würden – sie schafft „nur“ die Möglichkeit, die Voraussetzung hierzu. Der Sozialismus, der bewusst aufzubauen, zu gestalten und zu verwirklichen ist, entsteht auf Basis des aus dem Kapitalismus Ererbten, er bedeutet Umgestaltung und Neuaufbau im Rahmen des Möglichen. Und einen Teil des Möglichen bestimmt auch der Gegner, im Falle der DDR ein mächtiger, hochgerüsteter imperialistischer Block, der danach trachtet, den Sozialismus im Kindesalter zu erdrosseln, ihn stetig zu bedrohen mittels Militärbündnissen wie der NATO, mit tausenden Atomsprengköpfen und hunderttausenden Soldaten an seinen Grenzen, mit Wirtschaftsblockaden, Sabotage und feindlicher Propaganda – denn das war der Inhalt des fortgesetzten Klassenkampfes, der konterrevolutionären Bemühungen seitens des kapitalistischen Westblocks. Unter diesen schwierigen Bedingungen entstand die DDR und wurde im Osten Deutschlands der Sozialismus aufgebaut.

Frieden und Existenzsicherheit, technologischer und gesellschaftlicher Fortschritt, neue menschliche und Produktionsbeziehungen ohne Ausbeutung, Abbau der Diskriminierung aufgrund von Geschlecht, Sprache etc., sozialistische Kultur, Kunst und Freizeitgestaltung sowie nicht zuletzt der bedingungslose Antifaschismus als Staatsräson gehören zu den großen Errungenschaften der DDR – eine Gesellschaft und eine Wirtschaft, in der die Menschen im Mittelpunkt stehen, nicht der Profit der Banken, Konzerne und Unternehmen, nicht die Expansion des Militarismus und Imperialismus. Dies ist nur möglich auf Grundlage des Volkseigentums an den Produktionsmitteln und der politischen Macht der organisierten Arbeiterklasse, vermittelt durch deren höchste Klassenorgane und ‑organisationen, darunter nicht zuletzt die marxistisch-leninistische Partei, im Falle der DDR die SED. Und ein solches Staatswesen braucht im Existenzkampf natürlich Schutz in notwendiger legislativer, juristischer, polizeilicher, militärischer und nachrichtendienstlicher Form, nämlich vor den imperialistischen Staaten und deren konterrevolutionären Machenschaften, vor gedungenen oder irregeleiteten Umstürzlern, vor feindlichen Agenten, Terroristen und Saboteuren – eine Selbstverständlichkeit für jeden bürgerlich-kapitalistischen Staat, doch dem Sozialismus will man daraus einen moralischen Strick drehen.

Freilich, die DDR war nun mal nicht „perfekt“ und konnte es nicht sein, natürlich hatte sie Fehler, Schwierigkeiten und Probleme – schließlich ist der Sozialismus auch nicht das eigentliche historische Ziel der marxistischen Arbeiterbewegung, sondern eine Übergangsgesellschaft. Das Ziel ist die klassenlose Gesellschaft des vollständigen Kommunismus, die bislang logischerweise nirgends erreichbar war. Die perfiden Gegner des Sozialismus aber, darunter nicht zuletzt die besonders cleveren Sozialdemokraten, „akzeptieren“ nur einen Sozialismus, der perfekt ist, der ein märchenhaftes Traumland ist, in dem sich alles wie von Zauberhand in Wohlgefallen auflöst und die proletarische Staats- und Ordnungsmacht jeden konterrevolutionären „Dissidenten“, jeden subversiven Clown oder Klassen- und Staatsfeind lediglich mit Samthandschuhen tätschelt – wenn es das nicht gäbe, so könne man gleich beim Kapitalismus bleiben. Das sind freilich überaus mutige Maßstäbe zur Rechtfertigung eines Ausbeutungs- und Unterdrückungssystems, das bis dato zwei verheerende Weltkriege zu verantworten hat, die Verbrechen des Kolonialismus, den Faschismus, den Holocaust, den Einsatz von Atomwaffen, die Verurteilung ganzer Regionen und Kontinente zu Armut, Hunger und Tod, damit in den fortgeschrittensten Ländern ein gewisses Grundniveau in der Reproduktion der Arbeitskraft gesichert ist und die Arbeiterklasse nicht aufbegehrt. Und sollte sie es doch tun, so folgen im Zweifelsfall Repression, Notstandsgesetze, Staatsstreich, Militärputsch und Faschismus. Um es auf den Punkt zu bringen: Selbst der „schlechteste“ Sozialismus – und dies war die DDR keineswegs – ist besser als der „beste“ Kapitalismus. Und der sozialdemokratische und linksopportunistische Ponyhof-„Sozialismus“ bleibt ohnedies eine naïve Illusion, irgendwo jenseits des Regenbogens und des gesunden Menschenverstandes.

Seit der so genannten „Wiedervereinigung“ Deutschlands, die vielmehr die Annexion der DDR durch die weiter bestehende BRD war, hat sich dies in jeder Hinsicht bestätigt: Kohls „blühende“ Landschaften in den „neuen Bundesländern“ sind voll von Industrieruinen und „marktregulierten“ Beschäftigungslosen, verlassenen und heruntergekommenen Ortschaften mit einer großen Zahl an Menschen, die für den Kapitalismus nicht einmal mehr ausreichend profitbringend verwertbar sind – sie erhalten Minimalbildung und staatliche Almosen auf niedrigstem Niveau, von denen man sich nicht einmal anständig ernähren kann: bei McDonald’s gibt’s Burger um 1 Euro, eine Dose holländisches Bier erhält man im endlich vollgepackten Supermarkt um 89 Cent (und eine Banane um 20 Cent – aber wer will die schon?) – damit sind die für Lebensmittel täglich zugedachten Finanzen auch schon weg. Die verständliche Verzweiflung und die berechtigte Empörung der Menschen im Osten Deutschlands lenkt man ins politisch rechtsextreme Spektrum, denn dieses ist ein Verbündeter, ja immanenter Teil des Kapitalismus – und bleibt im Sinne einer autoritären bis faschistischen Staatsausrichtung seine strategische Reserve.

Den Sozialismus aber – insbesondere jenen der DDR –, den muss man weiterhin mit allen Mitteln bekämpfen: Mit Diffamierungen, Entstellungen der historischen Wahrheit, Verächtlich- und Lächerlichmachung, mit Spott und Hohn, mit Lügenkampagnen, die Medien, „Bildungseinrichtungen“ und „Wissenschaft“ befördern, mit der permanenten Wiederholung angeblicher Verbrechen und Unrechtmäßigkeiten bis hin zur besonders dreisten wie widerlichen Gleichsetzung mit dem Faschismus. All dies muss man gegen die DDR und ihr Andenken in Stellung bringen, das gesamte Arsenal der antikommunistischen Propaganda. Denn im Falle des Sozialismus in Deutschland kommt – im Gegensatz zur UdSSR, Osteuropa, Kuba oder China – der simple Rassismus des sonst üblichen westlichen Antikommunismus nicht zum Tragen, selbst bei allen Ossi- und Sachsenwitzen.

Nun, die Kapitalisten und Imperialisten mögen sich erfreuen an ihrem vorläufigen Sieg – er wird nicht von Dauer sein. Überall – auch in der BRD – hat der Kapitalismus Risse und Brüche. Er ist nicht friedensfähig und weder willens noch in der Lage, allen Menschen eine sichere Existenz, Arbeit, Wohnen und gerechten Wohlstand im Bereich des Möglichen zu garantieren. Der Realkapitalismus führt Krieg, er unterdrückt die Menschheit und beutet sie aus – das gilt auch für die BRD. Mit ihren bemühten Hinweisen auf ihre durchsichtige Scheindemokratie und Wahlinszenierungen, auf ihre mies getarnte Willkür- und Klassenjustiz, mit ihrer bejubelten „Freiheit“, die nur die Freiheit der grenzenlosen Profitmacherei meint, mit der Ausspielung der einfachen Menschen gegeneinander, mit ihren Lügenkampagnen in den Schulen und Medien wird die BRD ihre Fassade schlussendlich nur begrenzt aufrechterhalten. Das wissen die Herrschenden – und davor haben sie immense Angst. Denn die Wahrheit wird sich früher oder später durchsetzen.

Das endgültige historische Urteil über die DDR sprechen weder A- noch BRD, sondern die Arbeiterklasse und die Völker, die ihre Geschichte machen. Sie werden siegen, auch in Deutschland. Dadurch wird die DDR, die der beste deutsche Staat war, den es je gab, gewiss nicht wiederauferstehen, aber ein sozialistisches Deutschland, das noch besser sein und das Andenken an die großen Bemühungen, Erfahrungen und Errungenschaften der Männer und Frauen, die die DDR aufgebaut haben, in Ehren halten wird.

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