Das Elend der EL

Kandidat der EL bei der Europawahl 2014 für das Amt des Präsidenten der Europäischen Union Alexis Tsipras von der griechischen Syriza mit dem Präsidenten des Europäischen Parlamentes und Vizepräsidenten der Sozialistischen Internationale Martin Schulz von der deutschen SPD (Bildquelle: europarl.europa.eu)
Kandidat der EL bei der Europawahl 2014 für das Amt des Präsidenten der Europäischen Union Alexis Tsipras von der griechischen Syriza mit dem Präsidenten des Europäischen Parlamentes und Vizepräsidenten der Sozialistischen Internationale Martin Schulz von der deutschen SPD (Bildquelle: europarl​.europa​.eu)

Zu Charakter und Bedeutung der “Europäischen Linken”
Von Tibor Zenker
Die 2004 ins Leben gerufene “Partei der Europäischen Linken” (EL) ist in den kommunistischen und Arbeiterparteien Europas und darüber hinaus umstritten – und dies nicht gerade zu Unrecht. Anlass zu Kritik geben organisatorisch-strukturelle Belange, inhaltlich-ideologische sowie strategische, wobei hier freilich ein Zusammenhang besteht.
Siehe auch: Die Regierungsbeteiligung von kommunistischen Parteien
Die EL ist eine “europäische”, d.h. EU-Partei, die sich gemäß der “Verordnung Nr. 2004/2003 des EU-Parlamentes und des Rates von 4. November 2003 über die Regelungen für politische Parteien auf europäischer Ebene und ihre Finanzierung” gebildet hat. Das bedeutet, “sie beachtet insbesondere in ihrem Programm und in ihrer Tätigkeit die Grundsätze, auf denen die Europäische Union beruht” (Artikel 3c). Ähnlich ist es mit der Finanzierung: Die EU-Parteien erhalten Finanzmittel aus dem EU-Gesamthaushaltsplan, wenn sie einen entsprechenden Antrag stellen und dieser bewilligt wird. Hierbei werden das politische Programm und die Satzung gemäß obigen Kriterien und gemäß weiterer, juristischer und finanztransparenter, Kriterien begutachtet. – Kurz: Die EL unterwirft sich also dem Regelwerk und der grundsätzlichen Ausrichtung der EU und hat sich dazu zu bekennen, andernfalls verliert sie ihren Status als EU-Partei und/oder die finanziellen Zuwendungen der EU, die rund 75% des EL-Budgets ausmachen.
Es drängt sich die Frage auf, wie “alternativ” und “kritisch” die EL sein kann bzw. überhaupt darf, wenn ihre Tätigkeit und Existenz direkt von der EU bezahlt werden. Tatsache ist, dass die EU mit obiger Verordnung einen Rahmen – besser wohl: ein Korsett – geschaffen hat, mit dem sie hörige Parteien erhält, die nicht ernstlich aufbegehren (können) gegen den politischen und ökonomischen Status quo, schon gar nicht gegen das EU-System, denn die Parteien sind selbst integraler Bestandteil desselben. Die EU kanalisiert somit alle politischen Strömungen, wie es sich in einer ordentlichen Demokratieillusion eben gehört: Sie hält sich konservative, liberale, grüne und sozialdemokratische Regierungsparteien – staats- und EU-tragend -, außerdem rechte und rechtsextreme Parteien, die als Speerspitzen des Monopolkapitals agieren und gleichzeitig die (durchaus berechtigte) EU-Kritik einsammeln sollen, sowie eben eine loyale “Links”-Opposition, die im Krisenfall auch regierungstauglich werden, den vorgegebenen Rahmen aber natürlich nicht verlassen kann. Natürlich ist eine solche “Opposition” nutzlos, denn sie ist eine Scheinopposition, die wohl ein bisschen moralisieren darf, ansonsten aber handzahm zu bleiben hat. Der soziale Protest, der Widerstand gegen die EU und den Imperialismus, aufkeimende Klassenkämpfe oder gar revolutionäre Intentionen sollen damit im Sinne der EU domestiziert werden. Insofern ist die EL die Absicherung für den Fall, dass die alte Sozialdemokratie (wie gegenwärtig in Griechenland) endlich so weit zusammenbricht, wie es ihr gebührt – die neue Sozialdemokratie der EL steht als Auffangbecken für die WählerInnen schon bereit. Zur historischen Tragödie des Zusammenbruchs der II. Internationale vor 100 Jahren ist die EL nun die Farce. Dementsprechend sehen, durchaus zwangsläufig, auch ihre Inhalte und Ziele aus.
Die EL kann unter diesen Bedingungen gar nichts anders, als lediglich Reformismus und Illusionen anzubieten. Beides beinhalteten die maßgeblichen nationalen Gründungsparteien der EL – wie die italienische Rifondazione oder die deutsche PDS, heute “Die Linke” – natürlich schon von vornherein, während auf kommunistische Parteien, die zu dieser Formation stoßen, die EL-Programmatik rückwirkend Einfluss haben soll: Marxismus (von Leninismus gar nicht zu reden), Klassenkampf und Antiimperialismus, das Bekenntnis zu den positiven Errungenschaften des “Frühsozialismus” in der UdSSR und Europa, die konsequente Solidarität mit Kuba sowie das Ziel der sozialistischen Revolution haben in der EL keinen Platz und sind dort auch unerwünscht. Bislang hat sich dieser im Kern geradezu antikommunistischen Dogmatik und Repression der EL nur eine Partei wieder entzogen, nämlich die Ungarische Kommunistische Arbeiterpartei, die 2009 aus der EL ausgetreten ist: Sie hatte das Rückgrat, ihre langsame Entwaffnung umzukehren; sie lehnte es ab, dass seitens der EL die sozialistische Vergangenheit Ungarns und anderer Länder mit dem bürgerlichen Kampfbegriff des “Stalinismus” diffamiert wird, und sie wollte sich auch das Werkzeug des Marxismus-Leninismus nicht von der EL aus den Händen schlagen lassen. Seither gibt es auch in anderen EL-Mitgliedsparteien oder Beobachterparteien verschiedentlich starke Stimmen, welche die Verortung ihrer Parteien überdenken möchten, da nun mal niemand gerne sehenden Auges in den Sumpf gezogen werden will.
Zurück zur EL-Programmatik. Dass die Grundsätze einer revolutionären Partei und erstrecht natürlich etwaige Wahlprogramme selbstverständlich auch immer Übergangsforderungen und Reformziele definieren, versteht sich von selbst und ist auch richtig so. Ebenso richtig ist es für eine revolutionäre Partei, sich zu Bündnissen mit anderen Parteien, Organisationen und Bewegungen zu bekennen. Aber beides kann nicht zum Selbstzweck und schon gar nicht zum alleinigen Selbstverständnis werden. Reformziele und Bündnispolitik müssen immer in eine revolutionäre Gesamtstrategie eingebettet sein. Bei der EL ist das freilich nicht der Fall: Es handelt sich um bloßen Reformismus, der behelfsmäßig überdacht wird mit einer nebulosen Forderung nach einer “solidarischen Gesellschaft”, in der die Logik des Kapitalismus in irgendeiner Weise durchbrochen sein soll. Erreicht wird dies mit “demokratischen Mitteln” (des bürgerlich Staates) und auf “transformatorischem” Wege. Die ideologische Beliebigkeit als angeblicher “Pluralismus” ist nichts als eine Entideologisierung und diese soll die EL-Parteien zudem zu gern gesehenen Mosaiksteinchen irgendwelcher herbeiphantasierter “bunter Bewegungen” machen oder sie selbst zu einer “Bewegung der Bewegungen”, wobei die Arbeiterbewegung, wenn überhaupt, da nur am Rande eine Rolle spielen darf.
Gut, soll sein – auch dafür ist im bürgerlichen Parteienspektrum und im bürgerlichen Parlamentarismus Platz. Faktum ist aber: Ein solcher Platz, wie ihn die EL ausfüllt, ist gewiss nicht der einer kommunistischen Partei, sofern sie ihren Namen nicht nur als bloßes Etikett ohne Inhaltsgewähr betrachtet. Kommunistische Parteien, die ihren Namen verdienen und ihn mit Stolz, Aufrichtigkeit und Zuversicht tragen, die sich zur Arbeiterklasse, zum Klassenkampf, zur Revolution, zum Sozialismus und wahrlich nicht zuletzt zur Ablehnung der EU als imperialistisches Bündnis bekennen und dies in Programmatik und Praxis zum Ausdruck bringen wollen, sind in der EL oder an deren Rande nicht gut aufgehoben, denn dort sind sie nur der ernsthaften Gefahr ausgesetzt, ihren ureigensten Charakter zu verlieren, was ja auch der Zweck der EL-Formierung ist. Ratsamer erscheint es, sich dieser negativen Beeinflussung zu entziehen und somit dem Beispiel der Ungarischen Kommunistischen Arbeiterpartei zu folgen. In jenen Parteien, in denen die Diskussion hierüber eröffnet und offen ist, sind Entscheidungen in der einen oder anderen Richtung jedenfalls unausweichlich, denn der Charakter der EU-Partei EL und kommunistische Organisierung im eigentlichen Sinne vertragen sich nicht auf Dauer.
Im Sinne der internationalen Solidarität und Zusammenarbeit auf europäischer Ebene müssen sich die tatsächlichen kommunistischen Parteien andere, eigenständige Strukturen schaffen. Ein Anstoß in diese Richtung ist mit der Gründung der “Initiative Kommunistischer und Arbeiterparteien Europas” am 1. Oktober 2013 in Brüssel erfolgt. Auf Einladung der Kommunistischen Partei Griechenlands (KKE) sammeln sich in dieser Struktur bislang 30 Mitgliedsparteien, darunter die bereits erwähnte Ungarische Arbeiterpartei (der Namensteil “kommunistisch” wurde kürzlich vom ungarischen Staat verboten) oder auch die neu gegründete Partei der Arbeit Österreichs. Es besteht Anlass zur Hoffnung, dass sich in der “Initiative” jene europäische kommunistische Kräftekonzentration frei von EU-Gängelung entwickelt, für die die EL nicht nur nicht stehen kann und will, sondern deren Be- und Verhinderung zu den wichtigsten Aufgaben der EL zählen.
(Quelle: Zeitschrift “Theorie und Praxis – Sozialismus in Wissenschaft und Politik”, München, Ausgabe 34, Dezember 2013)
 

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