Die These, dass wir uns in der Periode einer Langzeitoffensive des Kapitals wie einer sozial-reaktionären Umbruchsphase des Kapitalismus befinden, dürften kaum ein Aufreger sein. Eine Entwicklung, die durch das neue, sozial-reaktionäre und rassistische Regierungsprogramm sowie das aktuelle Auf-den-Weg-bringen CETA’s noch weiter forciert wird. Aber wie lässt sich dies pointiert fassen? Und welche gewerkschaftlichen Anforderungen entwachsen daraus?
Während die Generation unserer Großeltern bzw. Eltern nach 1945 an der wirtschaftlichen Entwicklung zumindest noch zu einem Teil zu partizipieren vermochte (natürlich im eingegrenzten Rahmen der bestehenden Eigentums‑, Profit- und Machtverhältnisse), und im Rückblick auf ihre Jugend einen stetigen Wohlstandszuwachs verbuchen konnte, hat sich diese Entwicklung seit Ende des 20. Jh. ins Gegenteil verkehrt. Während Profite und Reichtum regelrecht durch die Decke schossen, sacken die Löhne und Gehälter seit 1978 (gemessen am BIP) mehr und mehr ab. Mittlerweile brechen sie des Längeren auf breiter Front auch real ein.
Das Phänomen, dass die Reallöhne sogar in der Hochkonjunktur stagnieren bzw. abrutschen und die Armut auch in Aufschwungsphasen zunimmt, markiert einen dahingehend tiefen Strukturbruch.
Begleitend klettert die Arbeitslosigkeit im Land stetig nach oben und erklimmt Jahr für Jahr ein neues Rekordhoch. Das aber bedeutet nicht allein, dass jeder Zehnte keinen Job hat; gerade noch so über die Runden kommt und in entwürdigenden Abhängigkeiten steht. Das auf den Arbeitsmarkt drückende Heer der Arbeitslosen schlägt darüber hinaus auch mit seinen Begleiterscheinungen mit voller Wucht zu Buche: Lohndruck und Lohndumping, Verschlechterung der Arbeitsbedingungen, Aushöhlung erkämpfter Rechte und sich breit durchsetzende „McJobs“, von denen niemand leben kann.
Während die durch Produktionssteigerungen sowie aufgrund der wiederkehrenden Krisen des Kapitalismus aus der Produktion ausgespuckten Menschen früher jedoch mit jedem neuen Aufschwung wie Ausdehnung der Produktion (zumindest zu deren größten Teil) wieder in Beschäftigung und Broterwerb gesetzt wurden, verfestigt sich die Arbeitslosigkeit heute allerdings mehr und mehr zu einer wachsenden strukturellen Massen- und Langzeitarbeitslosigkeit. Wurde die „industrielle Reservearmee“, wie Marx sie bezeichnete, in früheren Konjunkturzyklen im Aufschwung sozusagen aus der Etappe geholt, wird sie seit angezogenem Strukturbruch auch im Zuge der Aufschwünge nicht mehr wesentlich abgebaut bzw. stieg ihrer ungeachtet stetig nach oben, womit sich die „industrielle Reservearmee“ teils überhaupt zum „stehenden Heer“, genannt „Sockelarbeitslosigkeit“, wandelt.
Mit dem neuen Regierungsprogramm wird die soziale Regression noch weiter forciert werden: ein Zurück zum 12-Stunden-Tag, weitere massive Arbeitszeitflexibilisierungen, eine Lockerung des Kündigungsschutzes für Arbeitende über 50, rigorose Unternehmensförderungen durch öffentliche Übernahme der Soziallohnbestandteile (sog. „Lohnnebenkosten“), Verschärfungen bei der Zumutbarkeit von Jobs für Arbeitslose, das Ende des freien Hochschulzugangs, die Privatisierung des Sozialen Wohnbaus mittels Öffnung für „private Investitionen“, ein unbeirrtes Vorantreiben der Freihandels- und Investitionsabkommen CETA, TiSA und Festhalten an TTIP, …
Ob diese Prozesse weiter durchschlagen, wird sich letztlich am Widerstand, allem voran gewerkschaftlichen, entscheiden, den wir ihnen entgegensetzen. Aber dafür bedarf es freilich zugleich eines Kurswechsels der Gewerkschaften, ihre Umwandlung in ein Kampfinstrument. Denn ohne des konsequenten Kampfes in Mobilisierung und Einbeziehung der Beschäftigten werden sich die Kräfteverhältnisse nicht verschieben lassen. Auf „sozialpartnerschaftlichen“ ausgetretenen Pfaden und Samtpfoten, in denen die Resolution und Presseerklärung als „höchste Kampfform“ gilt, lässt sich dem Wüten des Kapitals und seiner politischen Figuren nun mal nicht Einhalt gebieten. Dahingehend ist es denn auch unabdingbar, den ÖGB aus seiner sozialdemokratischen Umklammerung und „sozialpartnerschaftlichen“ Orientierung wie institutionellen Einbindung ins herrschende System herauszulösen – hin zu einer kämpferischen Interessensvertretung der Arbeitenden. Einzig eine solche, lediglich deren Arbeits- und Lebensinteressen verpflichtete, Wandlung der Gewerkschaften ermöglicht es heute noch, die Interessen der Massen zu verteidigen und zur Geltung zu bringen. Eine derartige Wiederherstellung der Klassenfunktion der Gewerkschaft ist zweifelsohne eine mühselige, aber zugleich unabdingbare Aufgabe, die ebenso kämpferischer Betriebsräte, der Entwicklung einer neuen Konfliktbereitschaft in den Betrieben, wie des breiten gewerkschaftlichen Engagements und klassenbewußten innergewerkschaftlichen Ringens bedarf. Denn ohne – gar gegen – die Gewerkschaft lässt sich nicht nur dem entfesselten Klassenkampf von Oben nicht begegnen, sondern sind in Österreich kaum größere gesellschaftliche Kämpfe zu gewinnen.
Der hier angezogenen Perspektive ist gleichzeitig ein deutlich unterschiedenes, revolutionäres Klassen- und Menschenbild eingeschrieben, das gegen die eingefahrene „Stellvertreterpolitik“ für die Arbeitenden unsere Selbstermächtigung stark macht – und den Werktätigen in ihrer Selbsttätigkeit und ihren Erfahrungen in Arbeits- und Klassenkämpfen die Einsicht in ihre geschichtliche Kraft bewusst werden lässt. Ein Bild, das dem Ideal der „sozialpartnerschaftlichen“ Gewerkschaftsspitze nach „besonnenen ArbeitnehmerInnen“ – die nicht durch Kritik, kämpferischere Einstellungen oder gar eigenem Engagement lästig werden und vor dem Fernsehschirm noch zufrieden das hinnehmen, was als „das denkbar beste Ergebnis“ des „Ringens am grünen Tisch“ ausgegeben wird -, gleichsam geradezu diametral entgegengesetzt ist. Eine Orientierung die uns allerdings den nötigen Kompass in die Hand gibt.
Quelle: komintern.at