Ein Kommentar von Peter Ostertag, Lehrer aus Salzburg:
Es ist höchste Zeit, dass wir den Kampf um das neue Lehrerinnendienstrecht in einem größeren Rahmen sehen!
Lassen Sie mich eine These formulieren: das neue LehrerInnendienstrecht ist Teil einer Entwicklung, die andere Berufsgruppen schon längst kennen: es handelt sich um die Umgestaltung des pädagogischen Feldes in marktförmige Dienstleistungen. Das geschieht auf mehreren Ebenen: unter dem Stichwort Qualitätssicherung vor allem als Standardisierung und Zentralisierung von Prüfungen. Und eben als neues Dienstrecht, mit mehr Arbeitstunden und schlechter ausgebildeten Lehrkräften, die auch gleich flexibel eingesetzt werden können.
Andere Berufsgruppen kennen dieses Phänomen schon länger: der ArbeiterInnen haben es von Anfang erfahren, als Monotonie und Zeitdruck, als Takt der Maschine, als Herausforderung des Fließbands, als Tayorismus usw.
Neu ist, dass in den letzten Jahren auch Dienstleistungen diesem Diktat unterworfen werden, für die das unmöglich schien. In den Heil- und Pflegeberufen ist die „Reform“ schon in vollem Gange, jetzt sind auch die LehrerInnen und PädagogInnen dran.
Als meine Schwester vor einigen Jahren, nach einigen Jahren Babypause, zu ihrer Arbeitsstelle als Physiotherapeutin ins Krankenhaus zurückkehrte, musste ihr die Entwicklung besonders auffallen: plötzlich (jedenfalls für sie) werden deutlich mehr Patienten in der selben Zeit behandelt, die Behandlungen sind viel standardisierter und müssen ständig dokumentiert werden, damit Erfolgsparameter gemessen werden können. Kostenminimierung und Profitmaximierung,– und über allem thront die allgegenwärtige Qualitätssicherung. Kommt uns das bekannt vor?
Auch das Personal in den Krankenhäusern oder Pflegeeinrichtungen dachte zunächst, dass ihre Arbeit nicht standardisiert werden könnte. Es geht ja um den Menschen. Es passierte trotzdem. Die (Beraterfirmen) kamen einfach und definierten Parameter und operationalisierten, optimierten Abläufe und evaluierten. Vielleicht kann das Eigentliche ja nicht gemessen werden, aber vieles lässt sich messen, vor allem die (Arbeits-)Zeit und die Kosten.
Das österreichische Schulsystem steht vor derselben Schwelle. Alles, was messbar ist, wird gemessen oder messbar gemacht. Alle Tests, „Feldtestungen“, Standardtests, und jetzt auch Schularbeiten und die Matura beginnen auszusehen wie die unsäglichen PISA-Tests. Damit erinnert Schulpolitik an das Design von Computersystemen, die so entworfen werden müssen, dass sie bei den üblichen Benchmarktests optimal abschneiden.
Aber das alles misst doch nur oberflächliche Parameter, wird man einwenden. Ja, und wenn schon! Dinge wie Bildung, persönliche Entwicklung oder Selbstbestimmung werden überbewertet. Gegebenenfalls kann man sie in elitären Instituten für Spitzenkräfte anbieten. Und Dinge wie Emanzipation, Kritikfähigkeit, Solidarität sind sowieso verzichtbar. Die jungen Leute müssen lernen, sich als Einzelkämpfer zu verstehen.
Die idealistische Lehrerin, die sich bis zur persönlichen Erschöpfung engagiert, hat ausgedient (hoffentlich, denn das war auch keine Lösung). Ein neuer Typ ist notwendig, LehrerInnen, die standardisierte Programme professionell abspulen können. Dafür ist dann nur eine pädagogische Grundausbildung notwendig, spezielle Fachkenntnisse werden kaum mehr notwendig sein, – ist das nicht der (Un-)Geist des neuen Dienstrechts, in dem vorgesehen ist, dass LehrerInnen noch mehr SchülerInnen in allen möglichen Fächern unterrichten sollen? Bis zur persönlichen Erschöpfung geht es trotzdem, dafür sorgen Verdichtung und Verlängerung der Arbeitszeit. Schließlich geht es ja vor allem um Einsparung.
Nicht dass es grundsätzlich verwerflich wäre, Arbeit effektiver zu gestalten. Man könnte dann beispielsweise kürzer arbeiten, wenn die Arbeit schneller getan ist. Und vieles wäre zu verbessern am österreichischen Schulsystem! Wenigstens hat die Entwicklung der letzten Jahre das Gute, die alten, autoritären Verhältnisse wegzuspülen. Lehrer wie „Gott Kupfer“ sind glücklicherweise immer weniger möglich.
Wen erinnert das nicht an die berühmte Passage aus dem „Kommunistischen Manifest“, wo Marx und Engels die doppelte Rolle der bürgerlichen Gesellschaft schildern: „Die Bourgeoisie, wo sie zur Herrschaft gekommen, hat alle feudalen, patriarchalischen, idyllischen Verhältnisse zerstört.“ Die Kehrseite allerdings: es bleibt dann „kein anderes Band zwischen Mensch und Mensch übrig[…] als das nackte Interesse, als die gefühllose ‘bare Zahlung’“. Nun, die Zahlungen werden heute elektronisch abgewickelt, aber richtig ist, dass auch die pädagogische Beziehung als Geschäftsverhältnis gedacht werden soll. VerkäuferIn und Kundin. Der Lehrer/Verkäuferin hat Wissenswaren im Angebot und Techniken, um Grundfertigkeiten einzuüben. Höhere Fertigkeiten und Kenntnisse nur gegen Aufpreis.
Auch das haben Marx und Engels schon vorausgesehen, denn im Manifest heißt es weiter: „Die Bourgeoisie hat alle bisher ehrwürdigen und mit frommer Scheu betrachteten Tätigkeiten ihres Heiligenscheins entkleidet. Sie hat den Arzt, den Juristen, den Pfaffen, den Poeten, den Mann der Wissenschaft in ihre bezahlten Lohnarbeiter verwandelt.“ Mit einer gewissen, durchaus verständlichen Häme beobachten andere Berufsgruppen, wie die fromme Scheu für die Tätigkeit der Lehrerinnen und Lehrern, die sich bis jetzt als Männer der Wissenschaft betrachten konnten, zerfällt und auch sie unter ein neoliberales Régime geraten. Die Schadenfreude hilft jedoch nur den Herrschenden, die wieder einmal geschickt die Gruppen gegeneinander ausspielen.
Lassen Sie mich vermuten, wohin die Entwicklung langfristig gehen wird: durch die Definition von Standards und zentralen Prüfungen wird das Schulwesen für seine ökonomische Nutzung aufbereitet. Genau definierte Schnittstellen und Abschlüsse werden es mittelfristig mächtigen, nicht-staatlichen Anbietern ermöglichen, in den Markt einzusteigen und Ausbildungsabschnitte – natürlich kostengünstiger – marktförmig zu verkaufen. Die Schulgesetze der letzten Jahre wie auch das LehrerInnendienstrecht bereiten den Boden dafür.
Beim Streit um das neue Dienstrecht geht es nicht bloß um Besoldungsfragen, nicht einmal nur um Schulpolitik, es geht um mehr. Wir erleben, wie die ökonomische Vernunft, nein, die ökonomische Unvernunft des Kapitalismus sich in allen Bereichen der Gesellschaft durchsetzt: aber das ist kein Naturgesetz, wir können es ändern.
Aber wer soll das Thema politisch aufgreifen? Die Koalitionsparteien sind die Vollstrecker dieses EU-weiten Programms. Den Liberalen und Neoliberalen kann diese Entwicklung gar nicht schnell genug gehen. Das nationale Lager verbreitet Illusionen über den Kapitalismus, dessen Funktion und Konsequenz sie nicht verstanden haben. Nur die konsequent antikapitalistische Partei der Arbeit (PdA) kann den Kampf für LehrerInnen und SchülerInnen auf gesamtgesellschaftlicher Ebene aufnehmen!