Wir dokumentieren im Folgenden den Beitrag von Helmuth Fellner im Namen der Kommunistischen Initiative beim Internationalen Kommunistischen Seminar in Brüssel im Mai 2006:
1. In den Industriestaaten ist in den letzten Jahren der Gesamtumfang der Arbeiterklasse im weitesten Sinn gewachsen. In vielen Ländern (so auch in Österreich) stieg in den letzten Jahren sogar – statistisch nachweisbar – der Anteil der Arbeiter und Arbeiterinnen im produktiven, mehrwertschöpfenden Sektor, dem Industrie- und Gewerbeproletariat. Und dies bei durchaus hohen Arbeitslosenziffern und trotz Ab- und Auswanderung ganzer Produktionen in Entwicklungs- und Schwellenländer. In Österreich kam es dabei durch die Privatisierung der großen verstaatlichten Industrie-Einheiten zu gravierenden Umschichtungen von Groß- zu Klein- und Mittelbetrieben. Die Ausweitung insbesondere des Dienstleistungssektors führte zu einem enorm gestiegenen Anteil an Frauen innerhalb der Arbeiterklasse.
2. Immer mehr Schichten (selbst hoch- und höchstqualifizierter und akademischer) Lohnabhängiger werden „proletarisiert“, ihre Situation am Arbeitsplatz, die Abhängigkeit von der Unternehmensführung, soziale, arbeitsrechtliche und finanzielle Standards und auch ihre Lebensumstände nähern sich immer deutlicher der Lage der Arbeiterklasse an. Dies passiert auch im Bereich der kleinen und mittleren Beamtenschaft, der Telekommunikation, des öffentlichen Verkehrs und im Gesundheits- und Sozialdienst sowie im Bildungswesen.
3. Alle Arbeitsverhältnisse sind einem gravierenden Wandel ausgesetzt: Selbst in geregelten Normalarbeitsverhältnissen greifen Arbeitsrechtsverletzungen immer mehr um sich. Die Möglichkeiten der Lohnabhängigen, sich gegen Eingriffe ins Arbeitsrecht zu wehren, sind auf Grund des Arbeitsdrucks, der Entsolidarisierung, falscher „sozialpartnerschaftlicher“ Gewerkschaftspolitik stark beschränkt. Dazu kommt die weitere Aushöhlung des Arbeits- und Sozialrechts sowohl durch sozialdemokratische als auch durch bürgerliche Regierungen auf nationaler Ebene und erst recht auf der Ebene der EU. Atypische Arbeitsverhältnisse wie Scheinselbstständigkeit und fingierte Werkverträge nehmen in allen Arbeitsbereichen zu.
4. Ein beträchtlicher Teil bisheriger Normalarbeitsverhältnisse ist einer steigenden Prekarisierung ausgesetzt, überproportional betroffen sind davon Frauen. Vollzeitarbeitsplätze werden auf Teilzeit reduziert, kapazitätsorientierte variable Arbeitszeit (KAPOVAZ) greift um sich, die Zahl der befristeten Dienstverhältnisse steigt. Dazu kommt eine Reihe von Maßnahmen im Bereich der Sozialgesetzgebung, die Frauen wieder aus dem Erwerbsleben drängen sollen.
5. Auf Grund tatsächlicher oder illusionärer Unabhängigkeit suchen viele qualifizierte, vor allem junge Menschen den Weg in die „unternehmerische Selbstständigkeit“. Nicht selten endet ihre erträumte Unabhängigkeit auf einem riesigen Schuldenberg. Ihre soziale Lage ähnelt jener der Lohnabhängigen, der Grad der Selbstausbeutung liegt vielleicht höher. Auch unter kleinen Selbstständigen wächst die Erkenntnis, dass Solidarität nötig ist, und auch linkes politisches Bewusstsein, daher sind sie in eine Bündnispolitik im Interesse der Lohnabhängigen einzubeziehen.
6. Eine marxistisch-leninistische Partei ist grundsätzlich eine Partei der Arbeiterklasse und aller von den verschärften Verwertungsbedingungen des Finanz- und Monopolkapitals betroffenen werktätigen Schichten. Es handelt sich bei diesen Schichten nicht um Opfer irgendeiner Modernisierung, sondern alter, aber neu verschärfter Ausbeutung. Sie sieht sich als Sprachrohr der Interessen der Arbeiter und Arbeiterinnen, Angestellten, kleinen Beamten und kleinen Selbstständigen und „Scheinselbstständigen“ und versucht, eine Politik für sie und mit ihnen zu entwickeln, um gemeinsam einen Kampf für bessere Arbeits- und Lebensbedingungen, perspektivisch für eine gänzlich andere Gesellschaftsordnung, für den Sozialismus, zu führen.
7. Der „Abwehrkampf“ gegen weitere Verschlechterungen des Arbeits- und Sozialrechts muss organisiert geführt werden. Die kommenden Angriffe auf arbeitsrechtliche Absicherung, auf Kollektivverträge und Mindestlohntarife, Abfertigungen, Sozial- und Pensionsversicherung usw. müssen mit allen rechtlichen und politischen Mitteln verhindert werden. Dies kann nur durch mehr Druck von links auf die Gewerkschaften sowie durch Ausweitung fortschrittlicher Positionen in Betrieben und Arbeitnehmervertretungen gelingen.
8. Atypische und prekäre Arbeitsverhältnisse müssen mit allen Möglichkeiten bekämpft werden: durch Auseinandersetzung mit falschem, illusionärem Bewusstsein, durch Umwandlung in Normalarbeitsverhältnisse mit Hilfe von arbeitsrechtlichen Klagen, durch Erkämpfung arbeits- und sozialrechtlicher Standards für „Scheinselbstständige“. Das noch vorhandene Arbeits- und Sozialrecht muss dabei – so gut wie möglich genutzt werden, sonst wird es totes Recht und bedarf gar keiner weiteren Aushöhlung durch die reaktionären Kapitalfraktionen.
9. Es geht darum, den Mut der arbeitenden Menschen zu stärken, sich zu wehren, zumindest das vorhandene Arbeitsrecht zu nützen. Voraussetzung dafür ist die Stärkung des Solidaritätsgedankens der einzelnen Sparten der Arbeiterklasse den jeweils anderen gegenüber. Kleine Selbstständige, Gewerbetreibende und Künstler müssen in diese Solidarität mit eingeschlossen sein, da sie von ihrer sozialen Lage her ebenfalls zusehends „proletarisiert“ werden.
10. Ein wesentliches Kennzeichen der heutigen ArbeiterInnenklasse ist ihre Multikulturalität. Die Immigration insbesondere aus Südost- und Osteuropa hat den Arbeitsmärkten der entwickelten kapitalistischen Staaten neue, vor allem billige Subjekte der Ausbeutung gebracht. Die ArbeitsmigrantInnen sind neuen, verstärkten und schamlosen Systemen der Ausbeutung ausgesetzt. Rechtsradikalismus und Rechtspopulismus finden mit gegen MigrantInnen gerichteter Ausländerfeindlichkeit und Rassenhass breiten Nährboden. Dies findet sich auch in den Diskussionen um die Osterweiterung der EU. Für uns KommunistInnen ist die Auseinandersetzung mit Rechtsradikalismus, Fremdenfeindlichkeit und Rassismus eine Selbstverständlichkeit, der Internationalismus ist ein Grundpfeiler unserer Politik. Die ArbeiterInnenklasse ist in jedem Land internationalisiert, sie ist längst zur transnationalen Klasse geworden. Alle Versuche, sie nach Völkern, Ethnien, Volksgruppen zu spalten, dienen nur einer Politik des „Divide et impera“ („Teile und herrsche“) des herrschenden Kapitals und seiner politischen Fraktionen. Dieser Politik gilt nicht nur unsere Absage, sondern auch unser entschiedener Kampf. (1)
11. Die Fragen der Umverteilung des Besitzes von oben nach unten, der Besteuerung der großen Vermögen und Besitzstände müssen Teil unserer Strategie im Kampf für die Rechte der Arbeiterklasse sein. Diese Politik muss aber auch das soziale Umfeld der Arbeiterklasse umfassen: die Systeme der Bildung, Ausbildung und Weiterbildung, die kulturellen Gewohnheiten, die Lebens- und Wohnbedingungen. Dabei darf der Begriff der Arbeit nicht auf reine Erwerbsarbeit eingeschränkt werden, sondern muss auch den Bereich der hauptsächlich von Frauen geleisteten Reproduktionsarbeit innerhalb der lohnabhängigen und werktätigen Schichten mit einschließen.
12. Unser Ziel bleibt dabei eine revolutionäre Umgestaltung der Gesellschaft in eine sozialistische, in der die Entfremdung der Arbeit allmählich überwunden wird, der Profit nicht mehr die oberste Maxime ist und die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen verschwindet. Bei der Entwicklung dieses Zieles geht es auch darum, ständig die Unmenschlichkeit des Kapitalismus im globalen, aber auch im österreichischen Rahmen aufzuzeigen.
Helmuth Fellner für die Kommunistische Initiative (KI) Österreichs.
Anmerkungen:
(1) Diese zehnte These wurde nachträglich eingefügt.