Genau weiß man es angeblich nicht – aber seit mindestens 70 Jahren hängt in den Räumlichkeiten des ÖVP-Parlamentsklubs ein Porträt des austrofaschistischen Diktators Engelbert Dollfuß, von den demokratischen Parteien regelmäßig kritisiert. Jetzt wird bekanntlich das Parlamentsgebäude an der Wiener Ringstraße renoviert, die Abgeordneten des National- und Bundesrates sowie deren Büros müssen vorübergehend weichen. Dollfuß zieht nun ebenfalls aus, wie ÖVP-Fraktionschef Lopatka jüngst bekannt gab, und wird ans Niederösterreichische Landesmuseum übergeben – aus „Platzgründen“ freilich, nicht etwa aufgrund eines Gesinnungswandels Richtung Demokratie.
Abgesehen von der neuen EU-freundlichen Ukraine, wo man dem Nazi-Kollaborateur und Kriegsverbrecher Stepan Bandera huldigt, ist Österreich wohl das einzige Land Europas, in dem ein faschistischer Diktator von einer staatstragenden Partei als Held und Vorbild gefeiert wird. Im ÖVP-Parlamentsklub befindet sich bislang eine Ahnengalerie christlichsozialer Heroen, angefangen vom rabiaten Antisemiten Karl Lueger, über den katholischen „Prälat ohne Milde“, Ignaz Seipel, der am 15. Juli 1927 in Wien mindestens 85 demonstrierende Arbeiter abschlachten ließ, eben bis hin zu Dollfuß: Der schaltete im März 1933 das Parlament und dann den Verfassungsgerichtshof aus, illegalisierte sozialdemokratische und kommunistische Organisationen und Einrichtungen, zerbombte im Februar 1934 den antifaschistischen Widerstand in den Wiener Gemeindebauten mit Bundesheerartillerie, ließ ein paar Arbeiterführer aufknüpfen und etablierte mit 1. Mai 1934 den ersten faschistischen Staat auf österreichischem Boden. Das einzige, was man Dollfuss zugute halten kann: Bereits im Juli desselben Jahres ist er bei einem dilettantischen Putschversuch österreichischer Nazis draufgegangen. Grund genug für die ÖVP, die Nachfolgepartei von Dollfuß’ Christlichsozialer Partei – und offenbar auch seiner Vaterländischen Front –, ihn als Märtyrer und Freiheitskämpfer gegen den NS-Faschismus zu interpretieren. Wahrlich, es gibt keine größeren Antifaschisten als Faschisten, die ihren eigenen Faschismus gegen einen anderen verteidigen.
Weil aber der andere Faschismus, der im März 1938 den Austrofaschismus in Österreich ablöste, für weitaus umfangreichere Verbrechen steht, konnte man jene des Austrofaschismus im Nachkriegsösterreich bequem unter den Teppich kehren. Dort läge er noch heute, hätte die ÖVP nicht in bespielloser Ehrlichkeit gegenüber ihrer historischen Herkunft Dollfuß mit einem überlebensgroßen Porträt in genau jenes Parlament gehängt, das er 1933 abgeschafft hat. Die fehlende Distanz der ÖVP zum Austrofaschismus setzte sich nach 1945 ohnedies fort: Alle ÖVP-Bundesvorsitzende bis 1971 und damit alle österreichischen Bundeskanzler bis 1970 – Figl, Raab, Gorbach, Klaus – hatten eine Vergangenheit als Funktionäre und/oder Politiker im austrofaschistischen Régime. Lediglich Kurzzeit-Obmann Leopold Kunschak, der 1945 die Christlichsoziale Partei als ÖVP neu konstituierte, war erwiesenermaßen Demokrat, aber auch derjenige, der im Nationalrat Otto Bauer als „Saujuden“ titulierte. Kurz: Die Ahnen- und Heroengalerie der ÖVP ist ein Gruselkabinett, selbst abgesehen von Dollfuß.
Dass das Dollfuß-Porträt nun im Niederösterreichischen Landesmuseum landen soll, könnte durchaus lehrreich sein. Anbieten würde sich z.B. eine eigene Sonderausstellung über „Niederösterreichs größte Verbrecher“ – da könnte man Dollfuß dann irgendwo zwischen Josef Fritzl und Wolfgang Priklopil präsentieren.
Wahrscheinlicher ist, dass man Dollfuß an ein anderes Museum verleiht. Nur ein paar Kilometer von Sankt Pölten entfernt, in Texing im Mostviertel, gäbe es ein passendes: Das „Dr. Engelbert Dollfuß Museum“ wurde 1998 im Geburtsort des Helden eröffnet – feierlichst und unter Anwesenheit des ÖVP-Landeshauptmannes Erwin Pröll: „Gewidmet dem großen Bundeskanzler und Erneuerer Österreichs“. Finanziert von Landesregierung, Bundesministerium für Unterricht und Kunst sowie ÖVP-Bauernbund, erhalten von der Gemeinde Texingtal. Und keiner geniert sich.
Nun, das ist Österreich 2017 A.D. Und das ist die „neue“ Volkspartei, die immer noch einen faschistischen Diktator und Mörder feiert. Da braucht man sich über Kurz, Sobotka und deren Menschenverachtung auch nicht mehr wundern – eh schon wurscht.
Tibor Zenker, stv. Vorsitzender der Partei der Arbeit Österreichs