»Das Publikum hat die Ausweglosigkeit satt«

Wir möchten an dieser Stelle das Gespräch von Arnold Schölzl mit *Christa Weber wiedergeben, welches für die deutsche Tageszeitung jungeWelt am 16. Februar 2018 geführt wurde. Am 3. November 2018 wird das Theaterschauspiel »Frau Kapital und Dr. Marx« im Rahmen unserer Veranstaltung “100 Jahre kommunistische Bewegung in Österreich” in Wien zu sehen sein und zugleich Österreich-Première feiern.
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Ende Januar fand in Wuppertal vor 140 begeisterten Zuschauern die Uraufführung des Musiktheaterspiels »Frau Kapital und Dr. Marx« des Berliner Weber-Herzog-Musiktheaters statt – der erste Band vom »Kapital« in 100 Minuten. Heute (16. Februar 2018, Anm. PdA) ist Berliner Première in der Regenbogenfabrik in Kreuzberg. (jW)
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Ihr Stück »Frau Kapital und Dr. Marx« bringt Grundsätze der materialistischen Geschichtsauffassung und zentrale Ideen des »Kapital« auf die Bühne. Aus meiner Sicht haben Sie das ausgewählt, worauf es Marx ankam. Woher haben Sie diese Kenntnisse?
Durch die Finanzkrise 2008 war unser Interesse an ökonomischen Zusammenhängen geweckt. Deshalb nahmen Christof Herzog und ich an einem der »Kapital«-Lesekreise teil, die Studenten der Humboldt-Uni Berlin ins Leben gerufen hatten. Unsere Gruppe, anfangs waren wir um die 25 Teilnehmer, arbeitete sich durch alle drei Bände, wir lasen sogar im Anschluss – mittlerweile waren wir noch acht Interessierte – »Das Finanzkapital« von Rudolf Hilferding und von Rosa Luxemburg »Die Akkumulation des Kapitals«, bis wir uns schließlich an die »Grundrisse der politischen Ökonomie« wagten – Marxens Vorarbeit zum »Kapital«. Es waren keine Fachleute für Ökonomie, Dialektik oder historischen Materialismus dabei, wenn wir etwas nicht verstanden, diskutierten wir so lange, bis sich uns der Text erschloss.
Sie treffen auch die Argumente der Gegenseite, die Hauptmythen der bürgerlichen Ökonomie sehr genau, finde ich.
Mit einigen beschäftigt sich Marx selbst, er zerpflückt sie genüsslich im »Kapital« oder auch in »Lohn, Preis und Profit«. Im Lesekreis waren zudem Studenten, die sich mit der bürgerlichen Ökonomie beschäftigten. Sie brachten diese Theorien immer wieder in die Diskussion ein.
Erfordert es Mut, derart ab­strakte Gegenstände auf die Musiktheaterbühne zu bringen?
Es war – jedenfalls zu Anfang – kein Mut, sondern das Bedürfnis, unsere Kenntnisse weiterzugeben. Wir waren begeistert vom »Kapital«, und speziell vom ersten Band. Die ersten Ideen für ein Stück hatte ich schon vor sieben, acht Jahren, verwarf sie aber. Dann fiel mir der jetzige Anfang, also die Situation ein, dass sich Marx und Frau Kapital um die Bühne streiten und kurze Zeit später kam ich auf die Schlussszene: Marx übernimmt die Rolle von Sigmund Freud und Frau Kapital beichtet auf der Couch liegend ihre Kindheit, also die Entstehung des Kapitalismus, die ursprüngliche Akkumulation. Schwierig war allerdings der Mittelteil, da hat mich oft der Mut verlassen. Ich habe das Stück immer wieder weggelegt und zu Christof Herzog gesagt: Ich pack das nicht! Das wird zu trocken. Ganz wichtig war mir die historische Rolle der Arbeiterklasse, also aller abhängig Beschäftigten. Dass nur sie es sind, die diese kapitalistische Produktionsweise vernichten und das Privateigentum in Gemeineigentum überführen können. Nur diese Klasse kann die allgemein menschliche Emanzipation vollbringen.
Und wie brachten Sie das dann alles in eine dramatische Form?
Christof Herzog ermunterte mich immer wieder, zur Auflockerung des Stückes Lieder einzubauen. In einer meiner ersten Fassungen wollte ich Jugendgedichte von Marx verwenden, davon kam ich wieder ab, weil sie teilweise zu romantisch oder zu Sturm-und-Drang-mäßig daherkommen. So schlug ich Christof Herzog Marx-Zitate aus dem »Kapital« vor, Gedichte von Bertolt Brecht, Nazim Hikmet, Wladimir Majakowski u. a. Ein paar Liedtexte habe ich selber verfasst. Damit das Stück nicht in einen trockenen Akademismus verfällt, sollte die Musik einen betont eingreifenden Charakter haben und verschiedene Haltungen zum Text entwickeln.
Wie entstanden die Figuren der »Frau Kapital« und des »Arbeiters«?
Zuerst wollte ich ein Stück für viele Personen schreiben, für eine Laienspielgruppe. Aber da wir immer wieder Terminschwierigkeiten hatten, schränkte ich es auf zwei Personen plus Klavierspieler ein. Frau Kapital – natürlich eine allegorische Figur – sollte im Gegensatz zu der Marx-Figur eine eher chaotische, anarchische, verspielte und sehr schillernde Ausstrahlung haben. Der Pianist sollte hin und wieder als Arbeiter agieren und andeutungsweise einen Entwicklungsprozess durchlaufen. Mit Martin Orth haben wir einen sehr guten Griff getan, denn nicht jeder Pianist ist bereit und fähig, schauspielerisch zu agieren.
Woher nehmen Sie den Optimismus am Ende des Stückes?
Als Kommunisten fühlen wir uns dem Optimismus gleichsam verpflichtet. Wir spüren, dass das Publikum inzwischen nach einer Utopie lechzt, und diese zelebrierte Ausweglosigkeit in der Kunst – alles ist Scheiße, die Welt ist schlecht, der Mensch ist schlecht – langsam satt hat. Der Sozialismus bietet die einzige Möglichkeit für jedes Individuum, sich frei zu entfalten. Die ersten Versuche liegen hinter uns, wir können die begangenen Fehler auswerten und werden beim nächsten Versuch neue machen. Aber wir werden weiter voranschreiten – falls das Kapital nicht alles in Schutt und Asche bombt. Es liegt schließlich auch in unserer Hand, dies zu verhindern.
Interview: Arnold Schölzel
* Christa Weber ist Schauspielerin, Autorin und Theatermacherin. Bei »Frau Kapital und Dr. Marx« spielt sie »Frau Kapital«, Christof Herzog »Dr. Marx« und Martin Orth den »Arbeiter«. Text und Regie: Christa Weber, Musik: Christof Herzog, am Klavier: Martin Orth.

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