Bürgerliche Verkommenheit in fünf Nuancen

Kommentar von Tibor Zenker, Vorsitzender der Partei der Arbeit Österreichs (PdA), zur politischen Situation rund um aktuelle Positionen der Flüchtlingspolitik

Nach dem Brand des griechischen Flüchtlingslagers Moria auf Lesbos fallen teilweise die schlechtsitzenden Masken in der österreichischen Politik, manche Parteien maskieren sich neu. Allen Parlamentsparteien gemein ist die vollständige moralische Verkommenheit bürgerlicher Politik im parasitären Spätkapitalismus, wie sie gerade im Themenbereich Asylrecht und Migration gut sichtbar wird.

Es braucht nicht viele Worte zur ÖVP und ihrem Bundeskanzler Kurz, man weiß ohnedies nicht mehr, was man sage soll. Vergebliche Liebesmühe, darauf hinzuweisen, dass dies die Partei des christlich-sozialen Humanismus sein sollte. Über diesen braucht man sich ohnedies keine Illusionen machen, denn zum christlich-sozialen Lager gehörten ja auch der rabiate Antisemit Lueger und der faschistische Diktator und Mörder Dollfuß. Dass der gefühlskalte Kanzlerdarsteller der Gegenwart nun in Frontalopposition zum Papst steht, zur katholischen und evangelischen Kirche in Österreich sowie zu jedem einzelnen Wort, das vom Flüchtlingskind Jesus von Nazareth überliefert ist, ist eigentlich schon egal. Die ÖVP ist die Hauptpartei des Kapitals, der Banken und Konzerne – sie soll in deren Auftrag die Profite maximieren, wobei Menschen und Menschenleben eben naturgemäß nichts wert sind. Neu ist beim Übergang von Schwarz zu Türkis, dass man ungeniert die FPÖ kopiert und an niedrige Instinkte wie Rassismus und Fremdenfeindlichkeit appelliert, um Wählerstimmen zu lukrieren. Nur noch widerlich.

Von den Grünen hätte man sich freilich etwas Anderes und mehr erwartet. Dass der Marsch durch die Institutionen im Arsch der ÖVP endet und stecken bleibt, ist gewiss tragisch. Manche orten Hilflosigkeit beim Juniorpartner in der Koalition, in Wirklichkeit ist es aber Prinzipienlosigkeit. Lieber gibt man alles auf, wofür man (vermeintlich) steht und wofür man gewählt wurde, als die ohnedies geringe Machtpartizipation in der Regierung aufs Spiel zu setzen. Versprochen wurden saubere Politik, Anstand und Menschenrechte, bekommen haben die Grün-Wähler/innen das Gegenteil, weil alles der bedingungslosen Koalitionsraison und damit dem Willen der ÖVP untergeordnet wird. Im Wesentlichen ein Trauerspiel, das nicht mehr schönzureden ist, mit komödiantischen Elementen. Nach Stand der Dinge hätte man ebenso gut die FPÖ in der Regierung belassen können – nicht zuletzt bezüglich der Asyl- und Migrationspolitik. Und der Kapitalismus-konforme „Kompromiss“ ist dann: Freikaufen von Menschenrechtsverpflichtungen im Verfassungsrang? Zum Fremdschämen.

Die SPÖ versucht sich als soziale und humanistische Opposition zu inszenieren. Doch dass die Asylbestimmungen und Fremdengesetze gegenwärtig so sind, wie sie nun mal sind, ist wesentlich das Verdienst der Sozialdemokratie. Es waren SPÖ-Kanzler und SPÖ-Innenminister, die für den stetig verschärften Status quo verantwortlich sind. Was jetzt versucht wird, ist Heuchelei und billige Stimmungspolitik, obgleich gewiss ein moralischer Unterschied zwischen Rendi-Wagner und z.B. Doskozil besteht – aber auch ein machtpolitischer. Und wenn man ohnedies nicht Gefahr läuft, eine Versprechung umsetzen zu müssen, so kommt sie freilich leicht über die Lippen. Man wird die SPÖ an ihre Forderungen und Positionen erinnern müssen, sobald sie wieder in der Regierung ist. Und abschließend: Ausschließlich eine Handvoll Kinder retten zu wollen, ist Propaganda auf „Krone“-Niveau. Werden Menschenrechte neuerdings abgestuft? ALLE Flüchtlinge, die sich auf Lesbos befinden, müssen umgehend freigelassen werden und menschwürdige Unterkünfte am griechischen und europäischen Festland erhalten. Aber da traut sich die SPÖ dann auch wieder nicht drüber. Unglaubwürdig, mitverantwortlich.

Man kann den NEOS ihren partiellen menschlichen Anstand und spezifischen Menschenrechtsliberalismus schon abnehmen – das ist gewissermaßen das LIF-Erbe. Doch es gibt auch die andere Seite: Die NEOS sind als radikalkapitalistische Speerspitze alles andere als menschenfreundlich, sondern eben arbeiterfeindlich und asozial wie antisozial. Am Ende kommt eben maximale Ausbeutung heraus, nicht zuletzt der migrantischen Arbeiter/innen. Das kann man mit punktuellem Moralismus nicht aus der Welt schaffen. Und man braucht auch nicht die Abdankung irgendeiner angeblichen „europäischen Idee“ bejammern, denn es ist ja gerade das EU-Grenzregime und seine Asyl- und Migrationspolitik, die zumindest die Flüchtlinge, die nicht im Mittelmeer elendiglich ersaufen, in abgeschottete Massenlager sperren. Und es ist, in Komplizenschaft mit den USA und der NATO, die imperialistische EU-Politik, die wirtschaftliche, ökologische und militärische Fluchtursachen erst begründet. Das alles ist nicht mehr zwiespältig, sondern doppelzüngig.

Und die FPÖ… – Nun ja, egal. Rassistische Hetze, Ausländerfeindlichkeit, Chauvinismus mit deutschnationalem Einschlag. Was will man erwarten? Konsequent ehrlich menschenfeindlich.

Es ist klar, was es braucht: Die sofortige Evakuierung aller Massenlager, deren Schließung und keine Errichtung von neuen; menschwürdige Unterkünfte in kleinen Einheiten; ordentliche Versorgung, inklusive der medizinischen; Abschaffung des Dublin-Systems – Asylanträge müssen auch außerhalb der EU und der eigentlichen Zielländer gestellt werden können; die Verfahren müssen fair, transparent und rasch ablaufen; sichere Fluchtrouten, die gezielt geschaffen werden – die Rettung von Menschenleben muss Priorität haben; Aufkündigung des Türkei-Pakts; und nicht zuletzt: Schluss mit der Interventionspolitik und mit militärischen Aggressionen der EU-Staaten und der NATO.

All diese notwendigen Maßnahmen wird uns nicht nur die gegenwärtige österreichische Regierung nicht bringen, sondern auch keine andere, egal welche Parteien beteiligt sind. Und auch nicht die EU, im Gegenteil. Denn sie alle sind Teil des eigentlichen Problems, nicht der Lösung. Der Grad der moralischen Verkommenheit der bürgerlichen Parteien divergiert nur in Nuancen. Auf kapitalistischer und imperialistischer Grundlage ist keine menschliche Politik zu machen, denn ihr Grundprinzip ist die systematische Unmenschlichkeit, manchmal ganz offen, manchmal getarnt. Man muss sie entlarven – und überwinden.

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