130 Jahre SPÖ: Eine Leiche im Partykeller

Kommentar von Tibor Zenker, stv. Vorsitzender der Partei der Arbeit Österreichs (PdA)

Von 30. Dezember 1888 bis 1. Januar 1889 kamen im niederösterreichischen Hainfeld über 100 Delegierte aus den cisleithanischen Kronländern zusammen und gründeten auf Initiative des Wiener Arztes Victor Adler die Sozialdemokratische Arbeiterpartei (Österreichs), SDAP. Diese Daten, die sich nun zum 130. Mal jähren, markieren seither und somit die Schaffung der organisierten österreichischen Arbeiterbewegung in Parteiform im Allgemeinen, sowie die Gründung der Sozialdemokratie – und damit der heutigen SPÖ – im Speziellen. Das Level der Feierstimmung zum runden Geburtstag bewegt sich jedoch irgendwo zwischen „’ma wurscht“ und „Hä?“.

Bevor sie letzteres in ein Mikrophon oder Aufnahmegerät sagen konnte, wurde die SPÖ-Vorsitzende Rendi-Wagner gewiss noch gewissenhaft gebrieft, um vorsichtshalber Schlimmeres zu unterbinden. Wer binnen weniger Tage Karl Marx für „leistungsfeindlich“ hält und auf die ernsthafte Besteuerung von Unternehmensgewinnen und großen Vermögen ohne Not verzichtet, streckt nicht nur die Waffen, sondern im Prinzip auch schon die Patschen. Natürlich, man könnte sagen: wenig verwunderlich bei einer Parteivorsitzenden, deren einzige Pros Gender und Nichtparteimitgliedschaft waren. Und ja, man hat in der SPÖ an der Parteispitze auch schon alles Erdenkliche probiert: Banker, Manager, Weinliebhaber, Micky Maus und wieder Manager – da ist die Zeit einfach reif: Hey, nehmen wir einfach mal wen, der nicht einmal am Papier Sozialdemokrat ist! Dass zur ideologischen Nullnummer dann aber auch noch die intellektuelle Luftnummer kommt, war indessen nicht zwingend zu erwarten.

Man könnte freilich versucht sein, Rendi-Wagner in den Einsteigergrundkurs „Geschichte der ArbeiterInnenbewegung“ zu schicken – oder wenigstens in den Mitmach-Workshop „Sozialdemokratie – was ist das?“. Aber so einfach ist es nicht. Es stimmt zwar, dass der sozialdemokratische Fisch vom Kopf her stinkt. Doch dieses Problem kann man nicht dadurch lösen, indem man in Dr. Frankenstein-Manier einen neuen Kopf annäht. Denn der Fisch stinkt ja deshalb, weil er tot ist – ein verwesender Kadaver.

Dass die Sozialdemokratie nur noch „ein stinkender Leichnam“ sei, ist ein Bonmot Rosa Luxemburgs, die aus diesem Grund auch vor genau 100 Jahren die KPD gegründet hat. Dies wiederum sollte sie nur um wenige Tage überleben: Mit Billigung des sozialdemokratischen Kanzlers und des sozialdemokratischen Innenministers wurde sie am 15. Januar 1919 ermordet. Der Gedanke, was Rendi-Wagner womöglich zu Rosa Luxemburg einfallen würde, lässt einen erschaudern.

Wie dem auch sei – zurück zur SPÖ und ihrer 130jährigen Geschichte. Damals, in Hainfeld, auf Grundlage einer kämpferischen, marxistischen Prinzipienerklärung gegründet, kam es am Brünner Parteitag 1899 und endgültig am Wiener Parteitag 1901 programmatisch zur revisionistischen Wende. Dies öffnete Tür und Tor für den politischen Opportunismus, für den Rückzug auf den Reformismus und in aller Folgerichtigkeit für die schmähliche Unterstützung des dynastisch-imperialistischen österreichischen Angriffskrieges 1914. Es folgten 1918/19 die Verhinderung der sozialistischen Revolution, die Rettung der österreichischen Bourgeoisie und deutschnationale Propaganda. Der Aufstandsversuch vom Februar 1934 geschah explizit gegen die Position der SP-Führung, weswegen selbst während der Februarkämpfe von sozialdemokratischen und Schutzbundfunktionären vielerorts offener Verrat betrieben wurde. Dazwischen lag noch eine kurze Periode sozialer Reformen, die mehr die Bourgeoisie strategisch zugestanden als die SP erkämpft hatte, um den Kapitalismus zu konsolidieren, bevor man mit dem Faschismus wieder in die Offensive gehen konnte. Im antifaschistischen Widerstand bis 1945 waren die sozialdemokratischen Kräfte bereits in der Minderzahl gegenüber den kommunistischen, weswegen man sich zu Beginn der Zweiten Republik entschloss, hier den neuen Hauptfeind zu benennen: In brüderlicher Eintracht teilte man sich mit der ÖVP das politische und ökonomische System in Österreich, während man Parteilinke, die KPÖ und den Sozialismus bekämpfte. Die „Sozialpartnerschaft“ wurde zum regelrechten Herrschaftsmechanismus des staatsmonopolistischen Kapitalismus in Österreich, nochmals abgesichert durch den Parteirechten Kreisky: Die Arbeiterklasse wurde durch die SPÖ- und ÖGB-Führung ruhig gestellt, jegliche Perspektive jenseits des Kapitalismus verschwand nun auch formell aus der SPÖ-Programmatik, die im skurrilen „Linzer Programm“ der Ersten Republik wenigstens noch angedacht worden war.

Jetzt ist es leider so, dass das österreichische Kapital auf seine sozialdemokratischen Kompagnons und Komparsen gegenwärtig nicht mehr angewiesen ist – das gab die ÖVP erstmals im Jahr 2000 mit der damaligen Regierungsbildung zu verstehen, seit einem Jahr wurde dies abermals klargemacht. Die SPÖ aber hinterfragt sich nicht selbst, sondern will wieder zurück zur Sozialpartnerschaft, in der man die Interessen der Arbeiterklasse und der sozial Schwachen so blendend zugunsten eigener Posten, Profitanteile und Bereicherungsmöglichkeiten verkaufen konnte.

Es ist eine bittere Wahrheit, dass es SPÖ-geführte Regierungen waren, die in Österreich mit Sozialabbau, Privatisierungen und rassistischen Fremdengesetzen begannen. Und deshalb ist es auch viel zu wenig, wenn die SPÖ heute lediglich ein Zurück zum Vor-Kurz/Strache-Zustand verspricht, denn der war bereits menschen- und arbeiterfeindlich genug. In Wirklichkeit steht seit gut 100 Jahren fest, dass die SPÖ eine kapitalistische, gegenrevolutionäre und antisozialistische Partei ist, die sich nur schmähhalber auf die Arbeiterschaft beruft. Deshalb ist gegenwärtig auch keineswegs der Zeitpunkt, wo man alle Kräfte hinter der Sozialdemokratie versammeln müsste, um die schwarzblaue Regierung zu stürzen. Nein, es braucht keine andere kapitalistische Regierung, die dann für Ausbeutung, Unterdrückung, Armutsverwaltung und Imperialismus mit „menschlichem Antlitz“ steht – es braucht eine Arbeiter- und Volksbewegung gegen jede kapitalistische Regierung der Banken und Konzerne, ob rosarot, türkis oder sonst was. Und einer solchen Bewegung steht die Sozialdemokratie im Wege – auch das seit mindestens 100 Jahren.

Insofern bergen 130 Jahre SDAP und SPÖ freilich einige ehrenvolle Positionen und Aktivitäten zu Beginn dieses Lebenszyklus’ – und diese Traditionen und dieses Erbe werden andernorts auch hochgehalten –, dann aber handelt es sich um eine Chronologie der Schande, die jedes einzelne Jahr eine weitere Rechtsentwicklung bedeutet. Kein Vorsitzender/keine Vorsitzende kann (und will) daran etwas ändern, zumal es sich ja ohnedies nicht um ein personelles, sondern um ein strukturelles und inhaltliches Problem unlösbarer Natur handelt. Natürlich ist es ein bizarrer und bedauerlicher Irrglaube, man könne in dieser Partei noch irgendwas zum Guten zurück reformieren, quasi 100 Jahre – schwuppdiwupp – ungeschehen machen. Dieser Irrtum bindet lediglich Kräfte, die besser gegen die Sozialdemokratie eingesetzt wären, denn mit ihrer Anbetung der bedingungslosen Einheit mit den Verrätern und in ihrer unwillkürlichen Feigenblattfunktion rechtfertigen sie indirekt jede SP-Schweinerei, die seit einem Jahrhundert geschehen ist. Als ideologische Bastion der proletarischen Weltanschauung und als Werkzeug der Arbeiterbewegung ist die Sozialdemokratie daher obsolet. Sie kämpft nun nur noch um ihre eigene Existenzberechtigung, die sie so bereitwillig selbst aufgegeben hat, und verkommt zum Selbstzweck, wo lediglich Posten und Pfründe gesichert werden sollen.

Ohne umfassende Aufklärung und Organisierung der Arbeiterklasse, ohne Klassenkampf und ohne sozialistische Orientierung – all’ dies fände sich im historischen Hainfelder Programm – hat die SPÖ keinen Nutzen für die Arbeiterschaft, sondern nur für das Kapital. Der 130. Geburtstag wird vielleicht trotzdem mit der einen oder anderen Party in ein paar Kellerlokalen von Wiener Parteisektionen gefeiert. Rendi-Wagner als aktuelle Ärztin am Krankenbett der Sozialdemokratie hat als einzige Kur der hoch betagten Patientin nur den weiteren Aderlass parat, ohne zu bemerken, dass der blutleere Körper ohnedies längst tot ist.

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