Referat des Vorsitzenden Tibor Zenker auf der Parteivorstandssitzung der Partei der Arbeit Österreichs (PdA) am 7. August 2022
Die kapitalistischen Krisenerscheinungen finden ihre weitgehend ungebremste Fortsetzung. Die Teuerungsrate von 9,2 Prozent, die zuletzt in Österreich erreicht wurde, markiert die höchste Inflation seit dem Frühjahr 1975. Mehr als die Hälfte der österreichischen Bevölkerung hat derartiges noch nie erlebt, ein noch größerer Teil hat es zumindest nicht bewusst erlebt. Nachdem bislang v.a. die Kosten für Energie, für Strom, Gas und Treibstoffe die größten Preistreiber waren, hat die Entwicklung nun die Lebensmittel voll erfasst. Die Preise für Mehl haben sich im Jahresvergleich verdoppelt, es versteht sich von selbst, dass die Brotpreise nachziehen müssen – und damit sind wir beim Inbegriff des Grundnahrungsmittels.
Ein Ende ist nicht abzusehen: Die größten Energieversorger, Wien Energie und die EVN, haben für kommenden September bereits den nächsten Preissprung angekündigt – es wird nicht der letzte sein. Im Zusammenspiel mit den Mietkosten, die ohnedies bereits eine Überbelastung darstellen, mit unweigerlich anstehenden weiteren Teuerungen für alle Lebensmittel und Güter des täglichen Bedarfs stehen immer mehr Menschen vor einer verzweifelten Situation, in der sie sich das bloße Leben, das Überleben nicht mehr leisten können. Nach den Einkommensverlusten in der Pandemie, die die kapitalistische Krise verschärft hat, sind etwaige Ersparnisse längst aufgebraucht, die ausverhandelten sogenannten Lohnerhöhungen bedeuten ohnedies seit langem Reallohnverluste: Die arbeitenden Menschen werden ärmer, das Arbeitslosengeld und die Sozialleistungen sind sowieso notorisch unterdotiert.
Verschiedene Maßnahmen, wie etwa Corona-Ausgleichszahlungen und Stundungen, sind ausgelaufen, womit die erwartbare, aber eben verzögerte Pleitewelle nun Fahrt aufnimmt – zuletzt war bei Insolvenzen mancherorts bereits eine Verdoppelung zu vermerken. Dies betrifft sowohl Privatkonkurse als auch Unternehmenspleiten. Mit letzteren wird auch jene Kennzahl beeinflusst werden, die sich nach dem ersten Pandemietief wieder erholt hatte, nämlich die Beschäftigungszahl. Auch die Arbeitslosenquote wird wieder steigen, denn Firmenpleiten bedeuten in ihrer Konsequenz unweigerlich Jobvernichtung sowie für die betroffenen Arbeiter und Angestellten Einkommensverluste.
Die Diskrepanz zwischen Löhnen und Preisen ist dem Kapitalismus zwingend gegeben, denn hier liegt die Realisierung des kapitalistischen Profits, der der Ausbeutung durch Lohnarbeit entspringt. Gleichzeitig liegt in diesem Widerspruch aber auch die tiefste Krisenursache, wenngleich bürgerliche und auch sozialdemokratische „Ökonomen“ etwas anderes behaupten müssen. Mit der gegenwärtigen Teuerung erreichen wir in Österreich jedoch Dimensionen lange unbekannten Ausmaßes, die zu verheerenden sozialen Verwerfungen führen werden.
Befeuert wird dies seit einigen Monaten noch zusätzlich durch das Sanktionsregime und den Wirtschaftskrieg, den die meisten EU-Staaten – auch die österreichische Bundesregierung – gegen Russland führen. Die realen Auswirkungen treffen vor allem uns, die „eigene“ Bevölkerung der westimperialistischen Staaten. Doch ebenso wie man bereit ist, an der längst verlorenen militärischen Front bis zum letzten Ukrainer zu kämpfen, sollen die Menschen in der EU die sozialen Konsequenzen für die imperialistischen Auseinandersetzungen der Herrschenden tragen und ertragen. Uns drohen nicht nur weitere Teuerungen, sondern auch Versorgungsengpässe in unterschiedlicher Hinsicht. Wir stehen vor dem Übergang zur Kriegswirtschaft.
Den Regierungen fällt nichts anderes ein, als ein paar wirkungslose und viel zu späte Almosen zu verteilen sowie gute Ratschläge zu erteilen: Die Bevölkerung soll bei sich sparen, weniger Energie verbrauchen, die Heizung runterdrehen, das Licht dimmen, auf Mobilität und Freizeit verzichten, seltener duschen und sehr bald wohl auch einfach weniger essen. Es ist, wenn sich nichts ändert, nur eine Frage der Zeit, bis es in manchen Bereichen zu Rationierungen kommt – und auch diese Einschränkungen werden natürlich uns treffen, nicht die Kapitalisten, nicht die Reichen. Dafür wird die Regierung ebenso sorgen, wie sie es schon im Zuge der Pandemie getan hat.
Man wird wie bisher „die Wirtschaft“ und die Unternehmen retten, während die Menschen vor die Hunde gehen dürfen. Dass man in der EU gleichzeitig offenbar ausreichend Geld hat, um das korrupte Kiewer Régime, den bankrotten ukrainischen Staat und seine verlorene Armee durchzufüttern und mit immer mehr Waffen zu versorgen, setzt der Sache noch die Krone auf – zumindest die Rüstungsindustrie wird erfreut sein. Auch andere Konzerne sind schon jetzt Krisen- und Kriegsgewinner: Die OMV, der Verbund und die Landesenergieversorger streifen Rekordprofite ein, die Gewinnmargen erhöhen sich, auch in der Lebensmittelproduktion und im ‑handel, denn an der Teuerung wird verdient, selbst wenn die eigenen Kosten steigen, denn diese werden mit Aufschlägen weitergegeben.
Es zeigt sich die ganze Perversion der kapitalistischen Marktwirtschaft: Alles, was „der Markt regelt“, ist die Profitmaximierung. Obwohl noch keinerlei Verknappung bei Gas und Öl zu verspüren ist, als alle russischen Lieferverträge eingehalten wurden und noch nicht ein einziges ukrainisches Weizenkorn auf dem Weltmarkt fehlte, explodierten bereits die Preise: Denn das Kapital spekuliert mit der Situation, „der Markt“ reagiert auf Ereignisse, die gar nicht oder noch nicht eingetreten sind, und treibt die Preise für die Verbraucher gezielt und massiv nach oben. Das Kapital streift neue Gewinne ein, die Bevölkerung soll zahlen. Viel deutlicher kann gar nicht unterstrichen werden, dass die Marktwirtschaft für die Masse der Menschen nicht funktioniert, sondern nur für eine kleine parasitäre, gierige Schicht, die auf unsere Kosten im Luxus lebt.
Im Kapitalismus sind die Menschen als Arbeiter und Konsumenten für „die Wirtschaft“ da. Die Ausbeutung der großen Mehrheit soll den exorbitanten Reichtum einer kleinen Minderheit garantieren – das ist das innerste Wesen der kapitalistischen Wirtschaft. Es liegt auf der Hand, dass es eine andere Wirtschaftsform braucht, die für die Menschen da ist – nicht umgekehrt, wie bisher –, die auf geplante Weise die sichere Existenz und den gleichmäßigen Wohlstand der Bevölkerung garantiert, die keine Unsummen mehr für Konzerne, Banken, Spekulanten, Immobilienhaie, Ausbeuter, Aufrüstung und Kriegstreiber verschwendet. Diese Notwendigkeit stellt die sozialistische Wirtschaft dar, in der das kapitalistische Privateigentum in gesellschaftliches Eigentum verwandelt wird, das allen Menschen zugutekommt und die Versorgung aller gewährleistet. Das ist im herrschenden System nicht zu machen, denn hier bestimmen die Kapitalisten und ihre politischen Parteien und Regierungen. Die Arbeiterklasse muss ihre eigene Herrschaft erkämpfen und errichten, um mit Ausbeutung und Unterdrückung, Krisen und Kriegen ein für alle Mal Schluss zu machen.
Es reicht aber freilich nicht, die darbende und bedrohte Bevölkerung nur auf den Sozialismus zu vertrösten. Der Kampf gegen die verheerendsten Folgen der kapitalistischen Krise, der Teuerung, des ausbeuterischen Lohnsystems, der allgegenwärtigen Arbeitslosigkeit, der wachsenden Armut und der imperialistischen Kriege muss jetzt geführt werden. Die Arbeiterklasse verfügt über eine immense Macht, wenn sie sich ihrer bewusst wird und sie auf organisierte Weise einsetzt. Jetzt wäre der richtige Zeitpunkt, um die arbeitenden Menschen, die Beschäftigungslosen und die unterprivilegierten Volksschichten im Widerstand zu mobilisieren. Vonseiten des Kapitals und dessen Regierungen wird es keine Geschenke geben, sondern jede soziale Verbesserung muss vehement gegen ihren Willen erzwungen werden – auf der Straße, in den Betrieben, in Bildungs- und Ausbildungseinrichtungen, mit den Waffen, die die Arbeiterklasse hat: Massenaktion und Massenkampf.
Der Österreichische Gewerkschaftsbund ruft für den 17. September in allen Bundesländern zu einer „Demo gegen die Kostenexplosion“ unter dem Motto „Preise runter!“ auf. Dies ist ein Schritt in die richtige Richtung, und es ist wünschenswert, dass eine große Mobilisierung gelingt. Man darf aber nicht vergessen, dass die ÖGB-Führung gemeinsam mit jener der SPÖ die soziale Hauptstütze des Kapitalismus in Österreich bildet. Die sozialdemokratische Führung in ÖGB und Partei ist mitverantwortlich für Lohnabschlüsse unter der Inflationsrate, für die jahrzehntelange Demobilisierung der Arbeiterschaft, für Privatisierungen und Marktliberalisierungen, für Sozialabbau und die Reduzierung von Arbeiterrechten – all dies wurde in „sozialpartnerschaftlicher“ Kollaboration mit dem Kapital, der Wirtschaftskammer und Industriellenvereinigung sowie der ÖVP mitgetragen und umgesetzt, zum Gutteil unter sozialdemokratischer Kanzlerschaft. Nun, angesichts der Rekordteuerung und der massiven Krisenfolgen, sorgt man sich in den Führungsetagen der SPÖ und FSG um seine Rolle als Kontrollorgan gegenüber der gegängelten Arbeiterklasse und will suggerieren, dass man doch auf der richtigen Seite steht.
Man wird die sozialdemokratische Gewerkschaftsführung und die Alibiaktion des ÖGB beim Wort nehmen müssen! Bei einmaligen Protestkundgebungen wie am 17. September kann es nicht bleiben. Die Arbeiterklasse und die entmündigten einfachen Gewerkschaftsmitglieder müssen die ÖGB-Führung dazu zwingen – denn von selbst wird sie es niemals tun –, in eine nachhaltige Mobilisierung und Offensive zu treten. Nur dann wäre es möglich, die berechtigten Forderungen der arbeitenden Menschen gegen das Kapital und dessen Systemparteien konsequent zu vertreten und durchzusetzen.
Zu diesen Forderungen zählen u.a. Lohnerhöhungen über der aktuellen (!) Inflationsrate, Arbeitszeitverkürzung, eine deutliche Erhöhung des Arbeitslosengeldes, der Sozialleistungen und der Pensionen, eine staatliche Preisregelung bei Energie, Mieten und Grundnahrungsmitteln, öffentliches Eigentum und Kontrolle in allen Bereichen der Grundversorgung sowie die Verpflichtung der Unternehmen in der Verfügung von Bund, Ländern und Kommunen zur garantierten Versorgung zu leistbaren Preisen.
Die Arbeiterklasse muss die ÖGB-Führung ihrerseits unter Druck setzen, um nach dem 17. September weitere Kampfmaßnahmen, Versammlungen und Mobilisierungen folgen zu lassen. Diese müssten schließlich in nicht weniger als einem Generalstreik gegen Teuerung und Lohnraub münden, der durch den Streikfonds des ÖGB ermöglicht wird – das ist es, was zu fordern und zu forcieren ist. Nur im entschlossenen und konsequenten Massenkampf der Arbeiterinnen und Arbeiter können das Kapital, seine Verbände, Parteien und Regierungen in die Knie gezwungen werden. Auf diese Weise wäre es möglich, die Folgen der kapitalistischen Krise im ernsthaften Ausmaß abzumildern. Allenfalls wird jedoch sichtbar, wer auf welcher Seite der Barrikade steht.
Da Krisen, Lohnverluste, Arbeitslosigkeit und Teuerungen aber zwingende, ja gesetzmäßige Resultate des Kapitalismus sind, wird es auch nötig sein, die Kämpfe fortzuführen und zu verstärken. Die Arbeiterinnen und Arbeiter werden in erfolgreichen Aktionen und Kämpfen lernen, ihre Macht anzuwenden, sie werden anhand der Realität lernen, ihre Gegner und ihre Verbündeten klarer zu unterscheiden. Die bewusstesten Teile der Arbeiterklasse müssen mit dem Wesen des Kapitalismus, des Klassenkampfes und des Sozialismus vertraut gemacht werden, um sie auf wahrhaft revolutionäre Weise zu organisieren. Sie werden das theoretische, praktische, strategische und methodische Rüst- und Werkzeug des Marxismus-Leninismus erhalten, um das kapitalistische Ausbeutersystem insgesamt zu stürzen und die sozialistische Arbeitermacht zu errichten. Im Verbund mit den Arbeiterinnen und Arbeitern aller Länder haben sie eine Welt der Freiheit, des Wohlstandes, der Sicherheit, der Völkerfreundschaft und des Friedens zu gewinnen.