Beitrag der Partei der Arbeit Österreichs zum multilateralen Forum „100 Jahre nach dem 1. Weltkrieg: Die Welt im Jahr 2014“, veranstaltet von der Partei der Arbeit Belgiens, Louvain-la-Neuve, 27. – 29. Juni 2014
1. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts hatte sich der Imperialismus als Weltsystem weitgehend entfaltet. In den imperialistischen Zentren und daher in der Weltwirtschaft spielten das Monopol- und Finanzkapital die führende Rolle; der Kapitalexport hatte gegenüber dem Warenexport an Bedeutung gewonnen; die Monopole teilten die Zugriffe auf Rohstoffe, Investitionssphären, Marktanteile und Arbeitskräfte untereinander auf; die imperialistischen Großmächte hatten die Welt territorial aufgeteilt – eine Neuaufteilung war nur auf dem Wege der Gewalt möglich.
2. Doch diese Neuaufteilung war als imperialistische Gesetzmäßigkeit unausweichlich. Aufgrund der ungleichmäßigen Entwicklung in den imperialistischen Staaten waren manche zu kurz gekommen, insbesondere Deutschland. Es lag im Interesse dieser Imperialismen, ihre Einflusssphären auszubauen und Kolonialbesitz zu erobern, den sich bereits andere, insbesondere Großbritannien und Frankreich, gesichert hatten. So liegt der unmittelbare Grund für den 1. Weltkrieg, der vor 100 Jahren begann, im Versuch Deutschlands, zur imperialistischen Hegemonialmacht aufzusteigen. Die allgemeinen Gründe finden sich jedoch in den Gesetzmäßigkeiten und Mechanismen des kapitalistischen Imperialismus überhaupt.
3. Das ist der Grund, warum Rosa Luxemburg 1915/16 in ihrer Schrift „Die Krise der Sozialdemokratie“ konstatierte, die Welt befände sich in einer „nun begonnenen Periode der Weltkriege“. Der Imperialismus ist nicht friedensfähig, das zeigt schon die Permanenz von weltweiten militärischen Interventionen, Aggressionen und Okkupationen, von indirekten und direkten Kriegen, die von den imperialistischen Staaten gegen abhängige und halbabhängige Länder geführt werden. Doch die zwischenimperialistische Konkurrenz zwingt die imperialistischen Mächte auch zu direkten Konfrontationen, die zunächst mit politischen, diplomatischen, ökonomischen und heute auch medialen Mitteln ausgetragen werden, früher oder später aber militärisch entschieden werden müssen. Und eine jede Entscheidung ist wiederum nur eine vorläufige.
4. Dies zeigte sich nur zwei Jahrzehnte nach dem Ende des 1. Weltkrieges in einer neuen Dimension. Im verheerendsten Krieg der Menschheitsgeschichte war es abermals der deutsche Imperialismus, der über die Herrschaft in Europa zur dominanten Weltmacht aufsteigen wollte. In diesem Fall nahm die imperialistische Herrschaft auch noch die Form der offenen, terroristischen Diktatur der reaktionärsten, chauvinistischen und am meisten imperialistischen Elemente des Finanzkapitals an – des Faschismus. Die Folgen waren Vernichtungskrieg und Genozid.
5. Heute, einhundert Jahre nach dem 1. Weltkrieg, außerdem mit den Erfahrungen des 2. Weltkrieges, des Faschismus und des restlichen 20. Jahrhunderts, ist festzustellen, dass die Kernaussagen der Leninschen Imperialismustheorie immer noch umfassend Gültigkeit haben und dass die Periode der Weltkriege keineswegs zu Ende ist. Dennoch sind einige Erkenntnisse und Erfahrungen anzumerken, die 1914 bzw. 1916/17 noch nicht bekannt oder nicht vorhersehbar waren.
6. Bereits im Gefolge des 1. Weltkrieges, endgültig aber mit dem Ende des 2. Weltkrieges hat sich in der imperialistischen Welt eine neue Hegemonialmacht herausgebildet: die USA. Der US-Imperialismus spielt seither unangefochten die Führungsrolle unter den imperialistischen Staaten und verfügt nicht zuletzt rüstungs- und militärtechnisch über einen immensen Vorsprung gegenüber den anderen Imperialismen.
7. Am Ende des 2. Weltkrieges wurde der Menschheit mit den US-Atombombenabwürfen über Hiroshima und Nagasaki eine neue Perspektive imperialistischer Kriege aufgezeigt, nämlich die der Auslöschung der Menschheit als Spezies auf unserem Planeten. Heute existiert weltweit ein Atomwaffenarsenal, das das sogar mehrfache Potenzial hat, die gesamte Menschheit quasi per Knopfdruck auszurotten. Die „Logik“ des imperialistischen Krieges wurde dadurch bedeutend verändert, aber keineswegs verunmöglicht.
8. Der 1. Weltkrieg hat zur Zerstörung der alten Sozialdemokratie der II. Internationale geführt. In den meisten Parteien setzten sich damals jene sozialdemokratischen Führer durch, die für ein Kriegsbündnis mit den imperialistischen Eliten und der Bourgeoisie ihres jeweiligen Staates eintraten. Sie verrieten alle antimilitaristischen und revolutionären Positionen der II. Internationale, der Opportunismus der Arbeiteraristokratie errang die Vorherrschaft. – Doch dieser Zusammenbruch der Sozialdemokratie war auch der Ausgangspunkt für die Schaffung der III., der kommunistischen Internationale, in der sich unter der Führung der KPdSU die revolutionären Kräfte neu sammelten. Ihr Erbe vertreten heute die kommunistischen und Arbeiterparteien der Welt, die ausgehend vom Boden des Marxismus-Leninismus den konsequenten Antimilitarismus, Antiimperialismus und Internationalismus sowie die Sache des Sozialismus vertreten. Die Sozialdemokratie sank über die Zwischenstationen des Revisionismus und Reformismus zum integralen Bestandteil des staatsmonopolistischen Kapitalismus und zur offenen und tragenden Systemstütze des Kapitalismus und Imperialismus herab. Die heutigen sozialdemokratischen Parteien sind inhaltlich bürgerliche, kapitalistische und imperialistische Parteien, wenngleich sie nach wie vor ihre Basis in der Arbeiterklasse haben.
9. Beide Weltkriege haben den Imperialismus als Weltsystem erschüttert, denn in ihrem Gefolge wurde der Sozialismus gestärkt. Die sozialistische Oktoberrevolution in Russland 1917 und die Schaffung der UdSSR markieren den in die staatspolitische Wirklichkeit getretenen Systemgegensatz zwischen Imperialismus und Sozialismus. Nach dem 2. Weltkrieg wurde das Lager des Sozialismus noch massiv gestärkt, durch die Schaffung sozialistischer Staaten in Osteuropa sowie durch die Gründung der Volksrepublik China 1949.
10. Auf Seiten des Imperialismus führte dies zu einer vorläufigen Strategieänderung, denn ein weiterer Krieg hätte zum weltweiten Sieg des Sozialismus geführt. Die imperialistischen Staaten schufen sich antisozialistische und antikommunistische Bündnisse wie die NATO oder die EG/EU. Ironischer Weise wurden die imperialistischen Staaten auf diese Weise zumindest in Europa dazu gezwungen, keine neuen Krieg zu führen. Doch es war nur die Angst vor dem mächtigen sozialistischen Lager, die sie zu diesem begrenzten Scheinfrieden veranlasste. Schlagartig mit dem Ende der UdSSR und der sozialistischen Staaten in Europa war auch der Frieden zu Ende: Schon im Sommer 1991 begannen die Jugoslawienkriege. Damit ist eines klar gezeigt und gesagt: Je stärker der Sozialismus, desto geringer die Kriegsgefahr. Je schwächer der Sozialismus und die kommunistischen Organisationen, desto unsicherer ist der Frieden.
11. Seit der Konterrevolution ab 1989/90 konnte sich der Imperialismus wieder bedeutend ungehinderter entfalten. Er bedeutet wieder ganz offen maximale Ausbeutung und Ausplünderung, was gesetzmäßig zur gegenwärtigen Weltwirtschaftskrise führte. Er bedeutet wieder ganz offen Aggression nach außen, Repression im Inneren. Das führte zu weiteren Kriegen: im Irak, in Somalia, in Jugoslawien, in Afghanistan, in Libyen, in Mali oder in Syrien, neuerdings in der Ukraine – um nur einige zu nennen –, mit permanenten Drohungen gegen den Iran, Korea, Venezuela oder nicht zuletzt Kuba. Und es führte, „unterstützt“ durch die Terrorhysterie seit 2001, zum Ausbau des staatlichen Gewaltapparates, der staatlichen Unterdrückung, Überwachung und Einschüchterung, zur Entdemokratisierung und zur Entmündigung der Menschen und ganzer Nationen.
12. Der massive Rückschlag für den Sozialismus lässt seither aber auch die Konkurrenz zwischen den imperialistischen Großmächten und ihren Verbündeten wieder in den Vordergrund treten. Auch wenn die USA und die deutsch dominierte EU als Verbündete bei der kollektiv-imperialistischen Ausbeutung und Unterdrückung der abhängigen und halbabhängigen Länder agieren, so zeigen sich doch deutliche Gegensätze zwischen den imperialistischen Großmächten. Es ist die Herausbildung zweier Blöcke zu beobachten: Auf der einen Seite steht die Hegemonialmacht USA mit ihrem wichtigsten Verbündeten Großbritannien, auf der anderen Seite ein rund um Deutschland und Frankreich gruppiertes „Kerneuropa“, wobei in einigen regional wichtigen Staaten noch um die Zuordnung gerungen wird. Aus deutscher Sicht wird mittelfristig auch ein Bündnis mit Russland gesucht werden, um einerseits Energiesicherheit zu erhalten und andererseits dem militärischen Vorsprung der USA – auch in der Frage der atomaren Bewaffnung – entgegenwirken zu können. Schlussendlich wird auch China, ungeachtet seines tatsächlichen Gesellschaftssystems, in dieser Auseinandersetzung eine sehr bedeutende Rollen spielen.
13. Die innerimperialistische Auseinandersetzung wird gegenwärtig ökonomisch, finanz- und währungspolitisch geführt. Sie wird rund um die imperialistische Bündnispolitik geführt und erreicht langsam, aber sicher den Stand von Stellvertreterkonflikten, die zunehmend militärische Formen annehmen. Die Frage der imperialistischen Neuaufteilung der Welt und der globalen Hegemonialposition wird am Ende über die Gewalt, d.h. über den Krieg entschieden. Vieles deutet darauf hin, dass wir uns diesbezüglich in einer Phase des Vorkrieges befinden, deren Zeitrahmen und weitere Dynamik schwer zu bestimmen sind und letztendlich von der kommenden ökonomischen und sozialen Entwicklung in den imperialistischen Zentren abhängen.
14. Der dritte große imperialistische Weltkrieg steht noch nicht direkt vor der Tür, aber er ist unausweichlich, wenn nicht seine Grundlage – der Imperialismus als Weltsystem – überwunden wird. Die sozialistische Revolution ist das einzige Mittel, um den imperialistischen Kriegstreibern nachhaltig das Handwerk zu legen, und die objektiven Bedingungen hierfür sind gegeben: Der Imperialismus ist der Vorabend der sozialistischen Revolution, sagte Lenin – oder, wie es bei Rosa Luxemburg wiedergegeben ist, die Götterdämmerung der kapitalistisch-bürgerlichen Welt. Es ist die Aufgabe der kommunistischen und Arbeiterparteien, in diese Richtung zu wirken. In diesem Sinne stehen wir wieder – oder immer noch – vor der Entscheidung: Sozialismus oder Barbarei.
Tibor Zenker, stv. Vorsitzender der Partei der Arbeit Österreichs