Im Windschatten des Terrors wird der Rechtsstaat aufgelöst
Wieder ein neuer NSA-Skandal? Die hören doch eh schon alles ab. Der BND spioniert uns aus? Na so was. Werbenetzwerke kennen uns besser als unsere Freunde? Solange Facebook kostenlos bleibt, solange Google-Mail viel Speicher um kein Geld bietet, ist mir das egal.
Unser Kommunikations- und Bewegungsprofile werden technisch in den Netzwerken der Telekommunikation und des Internets abgebildet. Verharmlosend wird das als „Metadaten“ bezeichnet. Die staatliche Verpflichtung, unsere Kommunikations- und Bewegungsdaten anlasslos „auf Vorrat“ zu speichern und Staatsorganen zugänglich zu machen, hat der Europäische Gerichtshof verboten. Nur wenige EU-Staaten haben diese Regelungen („Vorratsdatenspeicherung) tatsächlich aufgehoben. Die Veröffentlichungen von Edgar Snowden dokumentieren aus dem „innersten Kreis“, in welch unverschämten Ausmaß neben den „offiziellen“ Regelungen die Geheimdienste unser Leben ausspähen.
Im Widerstand war es sinnvoll, nur die nächsten Kontaktpartner zu kennen, um niemanden zu gefährden. Mit der verfügbaren Technologie können Dienste heutzutage beliebige Netzwerke bis zur letzten Verästelung auflösen und identifizieren.
Staaten schnüffeln, private Firmen durchleuchten ihre Nutzer und wir ergänzen das freiwillig mit unseren höchst privaten Informationen. Davon spürt der Einzelne zunächst keine unmittelbaren Konsequenzen. Zum Glück – oder leider, je nachdem. Das Thema „Privatsphäre“ – Grundvoraussetzung für politisches Denken und Handeln ‑scheint weit weg zu sein.
Für Law-and-Order-Politiker gilt eine simple Gleichung: Je mehr Daten wir speichern, je mehr wir überwachen, desto sicherer leben wir. Diese Gleichung ist falsch. Befürworter sind bislang jeden Nachweis schuldig geblieben, dass Massenüberwachung zu mehr Sicherheit und höheren Aufklärungsquoten beiträgt oder Straftäter abschreckt.
In den vergangenen Jahren folgte auf jeden Terroranschlag in der westlichen Welt mit großer Gewissheit eine Forderung: „Wir brauchen mehr Überwachung und die Vorratsdatenspeicherung“. Netzpolitik.org hat dazu eine chronologische Übersicht erstellt, die den Pawlowschen Reflex von Politikern verdeutlicht. In allen Fällen waren die Täter den staatlichen „Diensten“ bekannt und wurden – zumindest zeitweilig – bereits überwacht. Die „Dienste“ haben die Anschläge nicht verhindert. Als Vorwand werden immer wieder „Terrorsten“, „Pädophile“, „Drogenhändler“ oder „Raubkopierer“ vorgeschoben. Ein Nachweis, dass die gesetzten Maßnahmen auch wirklich die behaupteten Ergebnisse bringen, wurde noch nie erbracht.
Ohne die Terrormiliz Islamischer Staat und die mit ihr einhergehende europaweite Terrorismusphobie hätten solch weitreichende Gesetze kaum Aussicht auf Realisierung. Die Terrorgefahr wird seit Jahren gerade von den US-Diensten geschürt und überbewertet. Sie dient als Feigenblatt für die weltweite Aufrüstung von Nachrichtendiensten und Polizeibehörden. Die Gefahr von Terror wird dadurch vermindert, die Überwachung politischer Opposition („weltanschaulich Motiviert“) verschärft.
Fast gleichzeitig werden jetzt in England, Frankreich, Deutschland, Schweiz und Österreich neue Überwachungsgesetze beschlossen. Der Europäische Gerichtshof hat die Vorratsdatenspeicherung für unzulässig erklärt, in Deutschland wird sie trotzdem wieder eingeführt. Frankreich hat die Vorratsdatenspeicherung nie aufgehoben, jetzt werden Überwachungsmaßnahmen verschärft und der Kontrolle entzogen. In England werden alle Aufrufe von Internetseiten für ein Jahr gespeichert.
Wenn Pharmafirmen ein neues Medikament auf den Markt bringen wollen, müssen sie nachweisen, dass es mehr nützt als schadet. Wenn Politiker ein neues Gesetz einführen, das die Grundrechte von Bürgerinnen und Bürgern bedroht, müssen sie offensichtlich nicht nachweisen, dass es überhaupt irgendetwas nützt.
Im Windschatten von Angst und Unsicherheit betreibt die Politik das Geschäft des Terrors: die Zerstörung der Grundlagen der bürgerlich-demokratischen Gesellschaft. Gleichzeitig soll das Bürgerkriegsland Türkei unter Zufuhr von Milliarden zum „sicheren Drittland“ sein, Ironie pur.
Welche Verschärfungen bringt das österreichische „polizeiliche Staatsschutzgesetz“?
Der Staatsschutz bewegt sich auf der Schiene einer zunehmend nachrichtendienstlich ausgerichteten Behörde. Beteuerungen von politischer Seite, dass das neue Staatsschutzgesetz ein polizeiliches sei und kein neuer Geheimdienst entstehe, mögen formal richtig sein, inhaltlich ist die Grenze zumindest fließend.
Deutlich zeigt das die Absicht, im Vorfeld einer Straftat richterliche Genehmigungspflichten abzuschaffen und einem „Rechtschutzbeauftragten“ die Genehmigung von Kontrollbefugnissen zu übertragen. Dies entspricht international den Gepflogenheiten von Nachrichtendiensten.
Die fließenden Grenzen der österreichischen Lösung zeigen sich auch in den Bestimmungen über das Führen von „Vertrauenspersonen“ (vulgo Spitzel): der „Quellenschutz“ wird beträchtlich ausgebaut, die Behörde kann praktisch die Herausgabe dieser Informationen auch gegenüber politischen Kontrollorganen verweigern. Beim kürzlich vor der Sommerpause verabschiedeten „Bankenpaket“ im Zusammenhang mit Eingriffen in das Bankgeheimnis wurde noch neben einer begleitenden Kontrolle durch einen (beim Finanzministerium neu geschaffenen) Rechtsschutzbeauftragten eine vollwertige gerichtliche Kontrolle durch das Bundesfinanzgericht geschaffen.
Trotz der Erfahrungen aus dem Tierschützerprozess in Österreich, dem NSU-Skandal in Deutschland, wo zumindest dem Umfeld Gelder zugeflossen sind, oder der Unmöglichkeit, die deutsche NPD zu verbieten, weil deren Führungsgremien von Spitzeln durchsetzt waren, soll das Spitzel-Unwesen in Österreich weiter ausgebaut werden.
Der vorliegende Gesetzesentwurf schafft eine mächtige Behörde, für die die vorgesehenen Kontrollmechanismen bei Weitem nicht ausreichen. Dies gilt für jede Form von Kontrolle: für die Institution des Rechtschutzbeauftragten ebenso wie für justizielle Kontrolle und erst recht für parlamentarische Kontrollmechanismen.
- Neuer Begriff „Verfassungsgefährdender Angriff“: Ein System unklarer Rechtsbegriffe (zB „verfassungsgefährdender Angriff“) und ein bunter Strauß von Straftatbeständen sorgt (absichtlich?) für Intransparenz dessen, was das neue Gesetz bewirken soll. So wird Missbrauch im Namen des Staatsschutzes geradezu provoziert.
- „Erweiterte Gefahrenerforschung“ wird auch aufgrund von Informationen von Sicherheitsorganisationen, von Organen der Europäischen Union oder Vereinten Nationen möglich. Der Kreis der „informationsgebenden“ Organisationen wird erweitert. Dadurch wird dem „Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT)“ ein größerer Pool an Informationen von verschiedenen, auch ausländischen Diensten, zugänglich.
- Keine richterliche Kontrolle, kein Recht auf Anhörung vor einem ordentlichen Gericht
Einem „Rechtsschutzbeauftragen“ im Innenministerium obliegt die Ermächtigung für Aufgaben zur erweiterten Gefahrenerforschung und für den vorbeugenden Schutz vor verfassungsgefährdenden Angriffen. Diese darf für höchstens sechs Monate erteilt und mehrfach verlängert werden.
- “Gefährder-Datenbank“
Die Führung einer sehr umfassenden Datenanwendung „zur Bewertung von wahrscheinlichen Gefährdungen“ wird vorgesehen. Es bestehen keine objektivierten Kriterien, was die Wahrscheinlichkeit für eine Gefährdung ausmacht ergibt und wo die Grenze zu ziehen ist. Ein konkreter Verdacht ist an dieser Stelle nicht gefordert.
- Auskünfte zu Standortdaten und der eindeutigen Mobil-Teilnehmerkennung (IMSI) werden ausdrücklich ausgedehnt auf die Überwachung einer „Gruppierung“, von „Betroffenen“ (= Gefährder) sowie deren Kontakt oder Begleitpersonen. Bemerkenswert ist, dass die ursprüngliche Befugnis im „Sicherheitspolizeigesetz“ (§ 53 Abs. 3b SPG) nach der Argumentation des Innenministeriums nur geschaffen wurde, „um vermisste Wanderer oder Schifahrer zu finden sowie suizidgefährdete Menschen rechtzeitig aufzufinden“. Die Aufspürung mutmaßlicher Täter ist bisher nach der Strafprozessordnung (StPO) nur aufgrund eines Gerichtsbeschlusses zulässig. Offenbar wird also die bisherige Rechtfertigung ohne weitere Erklärung dazu aufgegeben und der Polizei sowie den Staatsschutzorganen damit selbst das Instrument in die Hand gelegt, Menschen aktuell und historisch zu lokalisieren und allenfalls Bewegungsprofile daraus zu erstellen.
- Eingriffe in das Telekommunikationsgeheimnis durch Auskünfte über Verkehrsdaten,Zugangsdaten und Stammdaten zu elektronischer Kommunikation sowie Auskünfte zu „Diensten der Informationsgesellschaft“ (Forum, Website, etc) werden ausdrücklich auf „Gruppierungen“ und „Betroffene“ (= „Gefährder“) ausgedehnt. Damit werden Möglichkeiten zur Überwachung des Kommunikationsverhaltens noch diffuser. Behörden können den Kreis der Verdächtigen enger oder weiter definieren und so die Reichweite der Ermittlungsmaßnahmen flexibel steuern. Ob ein Eingriff in die verfassungsrechtlich geschützte Privatsphäre eines Betroffenen (Verdächtigen) auch im Einzelfall verhältnismäßig ist, wird nicht mehr überprüft, wenn die Genehmigung des Rechtsschutzbeauftragten insgesamt bezüglich der Gruppierung vorliegt, welcher das Individuum zugeordnet wird. Daran anschließend dehnt Ziffer 5 die Überwachungsbefugnis zu Internetzugangsdaten (IP-Adressen und Anschlussteilnehmer) ausdrücklich auf „Kontakt- und Begleitpersonen“ aus, womit der Kreis der Betroffenen gerade im Falle der Beobachtung einer gefährlichen „Gruppierung“ in der Praxis stark anwachsen wird
- Vorratsdaten
Das Bundesamt und die Landesämter haben die Daten, wenn sie sechs Monate unverändert geblieben sind, jährlich zu prüfen. Damit werden länger, zumindest teilweise, „auf Vorrat“ gespeichert. Dies wurde schon im Zuge der Aufhebung der Vorratsdatenspeicherung durch den österreichischen Verfassungsgerichtshof als verfassungswidrig angesehen.
9 wichtige Punkte zum neuen Staatsschutzgesetz
1. Österreich bekommt neue Geheimdienste:
- Das „Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT)“ ist formal eine Polizeibehörde, bekommt aber die Befugnisse eines Geheimdienstes.
- Österreich hat bald zehn neue Geheimdienste: neben dem BVT bekommen auch 9 Landesämter für Verfassungsschutz dieselben Befugnisse. Jeder Landeshauptmann bekommt so seinen eigenen Geheimdienst.
2. Das BVT kann unbeschränkt jeden überwachen und braucht dafür weder Richter noch Staatsanwalt. Das BVT ist niemanden gegenüber Auskunfts- und Rechenschaftspflichtig, solange es selbst „wichtige Gründe“ dafür behauptet.
3. Schon bei „„begründetem Gefahrenverdacht“ darf das BVT jeden überwachen. Es gibt keine klaren Regeln, wo und wie dieser „Gefahrenverdacht“ begründet, dokumentiert und überprüft wird.
4. Das BVT kann auf Daten aller Behörden und aller Firmen zugreifen, ohne Richter oder Staatsanwalt. Die einzige Kontrolle ist der „interne Rechtsschutzbeauftragte“ des Innenministeriums, des gleichen Ministeriums, dem auch der BVT untersteht. Das BVT kann in eigenem Ermessen („in begründeten Fällen“) auch dem „internen Rechtschutzbeauftragten die Akteneinsicht zur Wahrung der Identität von Zeugen verwehren.
5. Aufgabe des BVT ist weit mehr als die Abwehr von Terrorismus: Wer als Whistleblower auf Missstände hinweist, wer gegen Rechtsextreme in der Hofburg oder für Tierschutz demonstriert, gerät ins Visier dieser Behörde.
6. Rund 100 Straftaten definieren den verfassungsgefährdenden Angriff, 40 davon wenn sie aus „religiösen oder weltanschaulichen“ Motiven begangen werden.
7. Weitreichende Möglichkeiten zur Datenerhebung und ‑verarbeitung: Die Sammlung personenbezogener Daten von Verdächtigen sowie deren Kontaktpersonen ist zukünftig „zur Bewertung der Wahrscheinlichkeit einer Gefährdung“ erlaubt, einen konkreten und begründeten Verdacht braucht es explizit nicht. Damit kann das gesamte Internetnutzungsverhalten einer Zielperson gesammelt und ausgewertet werden. Die meisten Befugnisse zur (verdeckten) Ermittlung sind nicht mehr an konkrete Straftaten oder Verdachtslagen geknüpft. Es reicht schon, wenn Behörden ein abstraktes Risikoszenario behaupten und dieses analysieren wollen.
8. Das BVT darf alle Daten 6 Jahre lang speichern, nach drei Jahren wird nicht mehr protokolliert, wer auf diese Daten zugreift.
9. Österreich bekommt bezahlte Spitzel. Nach den Erfahrungen aus dem Tierschützer-Prozess in Wiener Neustadt, den NSU-Morden in Deutschland und dem wegen des deutschen Spitzelwesens nicht möglichen Verbot der NPD bekommen auch österreichische Behörden, Spitzel zu beauftragen und dafür zu zahlen.
Die Petition gegen das neue Staatsschutzgesetz kann auf www.staatsschutz.at weiterhin unterstützt werden.