Stellungnahme des Parteivorstandes der Partei der Arbeit Österreichs (PdA), Wien, 19. August 2020
Im Gefolge der Präsidentschaftswahl in Belarus (Weißrussland) kommt es seit über einer Woche zu zugespitzten Auseinandersetzungen. Die deutlich unterlegene Opposition unterstellt Wahlfälschung, der wiedergewählte Präsident Lukaschenko betrachtet sich als rechtmäßig im Amt befindlich. Es ist für uns nicht überprüfbar, wie der Wahlvorgang abgelaufen ist und wie die Stimmen ausgezählt wurden. Die von der Oppositionskandidatin Tichanowskaja verbreitete Ansicht, sie hätte tatsächlich mit etwa 80% der Stimmen gewonnen, ist jedenfalls nichts als eine Behauptung, für die keinerlei Hinweise oder Beweise vorliegen – diese Variante erscheint unglaubwürdig, auch wenn man das offizielle Ergebnis in seinem Ausmaß bezweifeln darf. Dass die Opposition im Falle einer Niederlage jedoch das Resultat nicht anerkennen würde, war lange vor dem Urnengang klar. Dadurch ist sichtbar, dass es sich um eine geplante Inszenierung handelt.
Die Proteste auf den Straßen von Minsk und anderen Städten sind allerdings real, obgleich die EU-Medien bewusst unterschlagen, dass es auch große Kundgebungen für Lukaschenko gibt. Tatsächlich verfügt die Regierung durchaus auch über erhebliche Zustimmung in der weißrussischen Bevölkerung, was mit dem Sonderweg des Landes zusammenhängt: Im Gegensatz zu Russland und den ehemals sozialistischen Staaten Osteuropas gab es hier eine mildere Form der Konterrevolution und der kapitalistischen Restauration. Die wesentlichen Industriebetriebe sowie relevante Teile der Agrarproduktion sind in staatlicher Hand, was der Regierung die Möglichkeit eines verhältnismäßig hochstehenden Sozial‑, Bildungs- und Gesundheitswesens sowie für einen besseren Lebensstandard als in den Nachbarländern gibt, was aber nicht bedeutet, dass man sich das politische und ökonomische Régime schönreden soll. Gleichzeitig ist es genau das, was den USA und der EU seit bald 30 Jahren ein Dorn im Auge ist: Der weißrussische Staatskapitalismus unterbindet die ungehinderte Aneignung ehemaligen Volks- und Genossenschaftseigentums durch das ausländische Monopolkapital, den ungehinderten und billigen Zugriff auf die Ressourcen und Arbeitskräfte des Landes, auch im Inneren konnte keine neue Oligarchenklasse entstehen. In diesem Kontext spielt auch Russland eine Doppelrolle: Zwar ist es im russischen Interesse, in Weißrussland einen politischen Verbündeten und einen Pufferstaat zur NATO zu haben, doch auch das russische Kapital strebt letztlich nach Erweiterung seiner Investitions- und Profitmöglichkeiten. Auch der limitierte österreichische Imperialismus befindet sich in Bezug auf Belarus in einer komplexeren Situation: österreichische Konzerne, Banken und Versicherungen machen auch unter den jetzigen Bedingungen gute Geschäfte in Weißrussland – und diese hängen freilich an Vereinbarungen mit dem gegenwärtigen Régime.
Für die imperialistischen Großmächte ist aber unweigerlich klar: Um Weißrussland maximal ausbeuten zu können, muss die Lukaschenko-Regierung weg. Daher arbeiten USA, NATO und EU seit langem an einer neuen „Farbrevolution“, nach serbischem, ukrainischem, georgischem, zentralasiatischem, lateinamerikanischem oder frühlingsarabischem Modell. Sie bedienen sich hierbei schamlos reaktionärster und faschistischer Kräfte und am Ende soll nichts Anderes als ein Putsch stehen, der freilich mit viel Schall und Rauch über Demokratie, Freiheit und Menschenrechte vertuscht wird. Doch die „Farbrevolutionen“ haben den Menschen nirgends etwas gebracht als Chaos, Ausbeutung, Ausverkauf, Abhängigkeit, in einigen Fällen Terror und Verfolgung, militärische Aggressionen und Bürgerkrieg sowie die Umwandlung in ein Aufmarschgebiet der NATO gegenüber Russland, China, den Iran bzw. für den nächsten Farbputsch in einem Nachbarland. Und so ist es auch kein Wunder, dass gerade die Ukraine, Polen und die baltischen Länder zu den Wortführern des US- und EU-Imperialismus in Bezug auf Belarus wurden. Von diesen Ländern aus werden die Proteste nicht unmaßgeblich geplant, gelenkt, organisiert und legitimiert. Doch haben genau diese Staaten, in denen es massive demokratiepolitische und rechtsstaatliche Probleme gibt, in denen Kommunisten, Gewerkschafter und Linke verfolgt und ermordet werden, in denen Minderheiten‑, Frauen- und LGBT-Rechte bedroht werden, in denen Rechtsextremismus und Neofaschismus grassieren, keinerlei politisches Recht und keine moralische Grundlage für irgendeine Art von Überheblichkeit gegenüber Weißrussland. Dass es den USA und der EU dennoch gelingt, mit dem Einsatz von viel Geld, Medienpropaganda, Ausrüstung und modernen Technologien, einen relevanten Teil der weißrussischen Bevölkerung für ihre imperialistischen Putschpläne zu instrumentalisieren, ist jedoch nicht zu übersehen. Auch wenn an vorderster Front hauptsächlich Marionetten des Imperialismus neben gekauften Randalierern und Neonazis agieren, so gehen offenkundig auch viele Menschen aus dem Volk auf die Straße, weil sie sich tatsächlich Verbesserungen erhoffen – doch sie werden enttäuscht werden. Darüber muss man sie, soweit möglich, informieren und aufklären sowie für den eigenständigen und unabhängigen Kampf für ihre eigentlichen Interessen organisieren.
Natürlich kann ein staatskapitalistischer, man könnte auch sagen: quasi-sozialdemokratischer Obrigkeitsstaat auf Dauer nicht funktionieren, denn er widerspricht den Gesetzmäßigkeiten des Kapitalismus – er versucht die Quadratur des Kreises. Durch äußeren Druck, Krisenhaftigkeit und aufgrund mangelnder Entfaltungs- und Partizipationsmöglichkeiten der Menschen wird das weißrussische System keinen Bestand haben können. Doch die Lösungen, die den Menschen vom Imperialismus und den oppositionellen Wortführern nun angeboten werden, laufen auf Unterordnung unter die USA und die EU hinaus, auf verschärfte Ausbeutung und Ungleichheit, existenzielle Unsicherheit, Privatisierungen und Sozialabbau – und schlussendlich auch auf militärische Konflikte. Ein anderes Angebot hat der Kapitalismus nicht, denn das Schicksal der Menschen interessiert ihn nicht. Er kümmert sich nicht im Geringsten um Demokratie, Menschenrechte, Sicherheit und Wohlstand für alle, sondern nur um seine Profite, den Zugriff auf Ressourcen und Transportwege, um geopolitische Positionen und Einflussgebiete, um neue Militärbasen. Dies sind die wahren Perspektiven einer erfolgreichen „Farbrevolution“ und eines Régime-Changes in Minsk.
Für die Partei der Arbeit Österreichs ist klar: Wir wenden uns gegen jede ausländische Einmischung in die Angelegenheiten Weißrusslands, sei es durch die USA, die NATO oder die EU, sei es durch Polen, Litauen, die Ukraine oder die Tschechische Republik. Die imperialistischen Versuche einer Destabilisierung der Verhältnisse, politische und wirtschaftliche Interventionen, Sanktionen zulasten der Bevölkerung, verlogene und heuchlerische Medienkampagnen und die Aufhetzung der Bevölkerung sind abzulehnen, ebenso die konkreten Bemühungen, einen Putsch zu inszenieren. Die PdA steht zur Unabhängigkeit und Selbstbestimmung Weißrusslands, für die Interessen der Arbeiterklasse, der Bauernschaft und der Volksschichten – diese Interessen umfassen auch die Verhinderung einer imperialistischen „Farbrevolution“, gewaltsamer Zuspitzungen und Eskalationen oder gar eines Bürgerkrieges. Die Arbeiterklasse muss den Zugriff des Imperialismus unterbinden und unsererseits ist antiimperialistische Solidarität gefragt. Die PdA ist solidarisch mit den kommunistischen Kräften in Belarus, die gegenwärtig als entschiedenste Gegner des Imperialismus, Militarismus und Faschismus für die Zukunft des Landes kämpfen. Doch die Interessen der weißrussischen Arbeiterklasse und des Volkes liegen auch nicht in einer Verewigung des aktuellen bürgerlich-kapitalistischen Regimes und seiner unzulänglichen sozialen und demokratischen Verhältnisse, sondern im konsequenten revolutionären Kampf für den Sozialismus. Nur auf diese Weise wird man sich sowohl dem Imperialismus entziehen können als auch den wahren Bedürfnissen des Volkes entsprechen.