Von der KKE lernen

June 14, 2012. Thessaloniki, Greece. Aleka Papariga delivers speech during a pre-election rally of the Communist Party in Thessaloniki.„Die Wissenschaft erfordert erstens, dass man die Erfahrung anderer Länder in Betracht zieht.“ (1)
Der Marxismus-Leninismus ist eine wissenschaftliche Weltanschauung, die alles für den Fortschritt der Menschheit Bedeutsame in sich integrieren kann und zu diesem Zweck die Wirklichkeit adäquat widerspiegeln muss. Es gibt aber nur eine Wirklichkeit, mithin nur eine Wahrheit und nur einen Marxismus-Leninismus.
Unser Ziel kann daher und aufgrund der notwendigen kollektiven Theorie-Praxis-Einheit nicht ein zwar gleichberechtigtes, aber einander äußerliches Nebeneinander nationaler kommunistischer Parteien sein. So ein Zustand kann nur ein vorübergehendes Stadium sein, das einzig der Schwäche der weltweiten kommunistischen Bewegung geschuldet ist. Längerfristiges Ziel ist hingegen eine parteiförmige Internationale, die die allgemeinen weltanschaulichen Prinzipien kollektiv entwickelt, dabei die nationalen und anderen Besonderheiten berücksichtigt und die Leitung der revolutionären Kämpfe vor Ort in einer geeigneten Weise koordiniert.
So eine Internationale lässt sich nicht einfach dekretieren, am Reißbrett entwerfen oder von heute auf morgen aufbauen. Noch sind sich die kommunistischen Parteien selbst über grundlegende strategische Fragen viel zu uneinig. Dies betrifft auch einige Ansichten der PdA, die den Ansichten der wichtigsten europäischen Partei, der KKE, diametral widersprechen: So etwa über die Möglichkeit einer Zwischenetappe zwischen Kapitalismus und Sozialismus, über die Möglichkeit einer Regierungsbeteiligung einer kommunistischen Partei unter kapitalistischen Verhältnissen oder über das Verhältnis zwischen Partei und kommunistischem Jugendverband.
Diese unterschiedliche strategische Orientierung lässt sich nicht aus unterschiedlichen objektiven Bedingungen erklären. Sowohl Österreich als auch Griechenland sind monopolkapitalistische Länder, beide sind bestens ins imperialistische System integriert und für beide gilt die weltpolitische Lage des Fehlens eines sozialistischen Machblocks. Das österreichische und das griechische Monopolkapital mag zum Teil gegeneinander, aber auch jeweils in sich selbst divergierende und widersprechende Interessen vertreteen. Diese Gegensätze betreffen aber die Interessen der jeweiligen Kapitalgruppen, nicht die Interessen der Arbeiterklasse und der Völker, daher auch nicht die revolutionäre Strategie. Der hervorstechendste Unterschied zwischen den beiden Ländern besteht im subjektiven Faktor, in der unterschiedlichen Stärke der kommunistischen und Arbeiterbewegung. Auch dieser Unterschied kann die revolutionäre Strategie aber nicht modifizieren, sondern bezeichnet lediglich, wie weit man entlang dieser Strategie bereits vorangekommen ist.
Es handelt sich mithin nicht um Fragen, die in Österreich so und in Griechenland anders beantwortet werden können, sondern um echte Meinungsverschiedenheiten – die man keinesfalls auf sich beruhen lassen darf! Es geht um echte theoretische Probleme, die deshalb gleichzeitig praktische Probleme sind und zum Zwecke des internationalen Erstarkens der kommunistischen Bewegung internationalistisch-kollektiv, auf wissenschaftlicher Basis und in sachlicher Form gelöst werden müssen.
Die Schlussfolgerung aus noch bestehenden Uneinigkeiten darf daher nicht sein, „drohenden Einfluss“ seitens der KKE abwehren oder unter Vorwand klangvoller Losungen wie „Sozialismus in Österreichs Farben“ die Allgemeingültigkeit theoretischer Prinzipien in Frage stellen oder gar in einen theoretischen Isolationismus flüchten zu wollen. Stattdessen geht es darum, den Dialog und die ideologische Auseinandersetzug mit der KKE bewusst zu forcieren, von ihren in vergleichsweise großen Teilen der Arbeiterklasse und des Volkes diskutierten theoretischen Schlussfolgerungen zu lernen und gemeinsam mit den griechischen Genossinnen und Genossen argumentativ auf gemeinsame Lösungen der genannten und anderer theoretischer Probleme zu kommen.
Es handelt sich bei der KKE immerhin um jene Partei, die am meisten zur Wiederbelebung einer kommunistischen Weltbewegung beiträgt und zugleich in ihrem Land jene von unserer Programmkommission geforderte (2) lebendige und kollektive Theorie-Praxis-Einheit so leuchtend verkörpert wie keine andere europäische Partei. Unsere enge Verbundenheit mit der KKE ist uns daher nicht etwa peinlich, sondern wir sind stolz darauf und festigen sie mit aller Kraft, im Theoretischen wie im Praktischen.
Es ist im Sinne eines intensivierten Austauschs mit der KKE – gerade auch angesichts unserer eigenen Vorbereitungen eines Parteiprogramms – erfreulich, dass es gelungen ist, für die vorliegende Ausgabe der „Einheit und Widerspruch“ eine bislang nicht verfügbare deutsche Übersetzung des Parteiprogramms zu erhalten.
In diesem Programm widerspiegelt sich die Haltung der KKE, sich auf das für eine kommunistische Partei Wesentliche zu konzentrieren: Die Mobilisierung aller Kräfte für den Sturz des Kapitalismus und den Aufbau sowie die Konsolidierung des Sozialismus.
In der ersten Ausgabe der E&W habe ich von Kommunistinnen und Kommunisten gefordert, „möglichst genau zu wissen, was denn diesen Sozialismus eigentlich ausmacht, den wir als das nächste größere Wegstück auffassen und daher erkämpfen wollen. Wenn wir von Sozialismus reden, so fragen ArbeiterInnen völlig zu Recht, was er denn genau sei, und wir müssen eine Antwort geben können – wenn schon vorerst nur in Grundzügen, so doch sukzessive immer detaillierter und umfassender. Dass es dabei wesentlich um jene konkrete Form des Sozialismus gehen muss, die unter den jeweils vorhandenen Bedingungen möglich und notwendig ist, sollte sich von selbst verstehen. Diese Bedingungen müssen ebenfalls analysiert und dargelegt werden, es muss verständlich und anschaulich gemacht werden, wie und warum die heutige Gesellschaft geradezu nach Sozialismus verlangt.“ (3)
Diese Forderung ist in den Dokumenten der KKE ganz vorbildlich verwirklicht, so auch im Parteiprogramm. Die KKE hat jeglichen Dogmatismus, den siamesischen Zwilling des Opportunismus, hinter sich gelassen und argumentiert auf Basis einer Analyse des Hier und Jetzt, wie eine bessere Zukunft erkämpft werden kann. Ausgehend von der weltpolitischen Lage, der Stellung Griechenlands und der materiellen Basis widmet sich der deutlich größere Teil des Programms dem Weg zum Sozialismus, seiner Charakterisierung und den Rollen, die Partei, Klassen- und Volksbewegung spielen müssen. Dieses Parteiprogramm wurde nach ausgiebiger Diskussion beschlossen und enthält Auffassungen, deren Anerkennung Voraussetzung für eine Parteimitgliedschaft ist.
Es legt in einer verständlichen Form dar, dass Sozialismus in Griechenland notwendig und wie er möglich ist. Wie anders soll man jemanden überzeugen, sich in den revolutionären Kampf einzureihen? Dieser Kampf erfordert nicht halbgare Losungen, sondern Entschlossenheit auf Basis eines revolutionären Programms.

Von Stefan Klingersberger.

Anmerkungen
(1) Lenin: Der linke Radikalismus
(2) Vgl. E&W#1, Seite 3: Aufruf der Programmkommission.
(3) Vgl. E&W#1, Seite 4: Einige Aufgaben unserer theoretischen Arbeit.

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