Freiheit oder 129 b

Mitglieder der türkischen TKP-ML stehen in München vor Gericht
Von Gerhard Mack
UZ Ausgabe vom 8. Dezember 2017

Seit Juni 2016 wird zehn AktivistInnen der ATIK (Konföderation der ArbeiterInnen aus der Türkei) vor dem OLG München auf Grundlage des berüchtigten „Terrorismus“-Paragraphen 129 a/b der Prozess gemacht. In zweimal wöchentlich stattfindenden, bisher über 70 Verhandlungstagen, soll dem erneut auf die Anklagebank gezerrten linken Freiheitskampf ein weiteres Mal das Urteil gesprochen werden.

Der Vorwurf: sie sollen mutmaßliche (führende) Mitglieder der Kommunistischen Partei der Türkei/Marxistisch-Leninistisch (TKP/ML) sein bzw. deren sogenannten Auslandskomitee angehören. Irgendwelche konkreten Straftaten werden ihnen nicht vorgeworfen. Was aufgrund der besonderen Konstruktion des Strafrechtsparagraphen 129 bekanntlich auch nicht von nöten ist. Alleine die Zurechnung zur inkriminierten Organisation reicht dieser justiziellen Allzweckwaffe aus, um völlig legale politische Tätigkeiten (vom Spendensammeln über das Verteilen von Publikationen oder dem Organisieren von Veranstaltungen) unter Strafe zu stellen.
Die TKP/ML ist eine maoistische Partei in der Tradition ihres 1973 bestialisch zu Tode gefolterten Gründers Ibrahim Kaypakkaya, die weder in Deutschland oder anderen europäischen Ländern verboten ist, noch sich auf der sogenannten EU-Terrorliste findet. Ein seit je die Partei auszeichnendes Charakteristikum ist ihr bedingungsloses Eintreten für das Selbstbestimmungsrecht der kurdischen Nation. Entsprechend führt ihr bewaffneter Arm, die Arbeiter- und Bauern-Befreiungsarmee der Türkei (TIKKO), nach wechselvollen Beziehungen seit 2007 auch gemeinsame Operationen mit den Einheiten der PKK und kämpfte die letzten Jahre in Rojava im Internationalen Bataillon Seite an Seite mit der YPG und YPJ gegen die Mörderbanden des „IS“.
Die Verteidigung nannte den Prozess denn auch zurecht seit Beginn eine „Auftragsarbeit für die Türkei“, deren einzige Funktion in der Kriminalisierung des revolutionären Befreiungskampfes sowie kämpferischer migrantischer Strukturen liegt. Dementsprechend bedurfte es zunächst auch der Erteilung einer Verfolgungsermächtigung durch das Bundesministerium der Justiz. Denn nicht die Justiz, sondern die Politik entscheidet ob der Verfasstheit des § 129 b entlang ihrer außenpolitischen Interessen und der Begehrlichkeiten ihrer Partnerländer über die Strafverfolgung. Wer „Terrorist“ sei und wer Freiheitskämpfer bestimmen Bundeskanzleramt, Außen- und Innenministerium im Verbund mit dem Justizministerium.
Diese Willfährigkeit zeigt sich bis in die Prozessführung hinein. Aktuell vor allem in der Auseinandersetzung um den schwer erkrankten Angeklagten Mehmet Yesilçali. Dieser wurde im Widerstand gegen den Militärputsch 1980 schwer verletzt verhaftet und verbüßte im Anschluss insgesamt 15 Jahre Haft in türkischen Gefängnissen, während denen er brutalster und langwieriger Folter ausgesetzt war. 2007 gelang ihm schließlich die Flucht in die Schweiz, die ihn 2016 nach Deutschland auslieferte. Aufgrund des ihm in der Türkei Widerfahrenem und der aktuellen verschärften Haftbedingungen leidet er an starken posttraumatischen Belastungsstörungen. Ein Umstand, den sich die deutsche Justiz zunächst mit einem Deal (absehbare Haftentlassung gegen ein umfassendes Geständnis) zunutze machen wollte. Nachdem er diesen standhaft ausgeschlagen hatte, antwortet sie ihm umso erbarmungsloser – und weist sämtliche Haftbeschwerden trotz ärztlicher Gutachten ab.
Zu den Verhandlungen im Münchner Mammutprozess finden regelmäßig Solidaritätskundgebungen statt. Die vom letzten Freitag, stand zum Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen natürlich nicht zuletzt im Zeichen der Ärztin Banu Büyükavci, der einzigen weiblichen Angeklagten. Dr. Büyükavci arbeitete nach ihrer Promotion 1995 zunächst in verschiedenen Krankenhäusern der Türkei und kam 2006 zur Weiterbildung nach Deutschland, wo sie bis zur ihrer Verhaftung als Psychologin tätig war. Zu Sommerbeginn beantragte die Verteidigung nach ihrer bereits zweieinhalb Jahre andauernden Untersuchungshaft – aufgrund eklatanter Unverhältnismäßigkeit deren Aufhebung, was vom Münchner Richtersenat ebenso brüsk abgeschmettert wurde.
Dergestalt stehen die Zeichen im noch bis Sommer 2018 anberaumten größten Polit-Prozess gegen Linke in Deutschland seit Mitte der 1990er Jahre denn auch auf langjährige Haftstrafen. Dagegen wird für den 15. Dezember vor dem OLG gerade die nächste Großkundgebung organisiert.
Nachtrag: Nach Monaten des Tauziehens wurde der Enthaftung Mehmet Yeşilçalı nach 2,5 Jahren strenger Isolationshaft nun zwischenzeitlich doch stattgegeben. Der Richtersenat hatte zu allerletzt sichtlich die Befürchtung Yeşilçalı könnte tatsächlich in deutscher Haftt bzw. im Prozeßverlauf versterben. Er ist jetzt in einer Wohnung in München (das er nicht verlassen darf) untergebracht und teils von den Verhandlungen freigestellt. D.h., er muss bis zur Besserung seines schwer angeschlagenen gesundheitlichen Zustands gegenwärtig “nur” mehr an den Freitags-Verhandlungen teilnehmen.
 Zurecht erklärte die Verteidigung hierzu: “Die Haftentlassung von Mehmet Yeşilçalı kann [allerdings] nur ein Anfang sein. Eine Fortdauer der Untersuchungshaft ist auch bei den anderen Angeklagten nach 31 Monaten der Inhaftierung und 86 Hauptverhandlungstagen nicht mehr zu rechtfertigen.”
 
 

Veranstaltungen

Zeitung der Arbeit

spot_img

NEWSLETTER

    Geben Sie Ihren Vornamen ein

    Geben Sie Ihren Nachnamen ein

    Geben Sie ihre E-Mailadresse ein

    Geben Sie Ihre Telefonnummer ein



    Aktuelles

    Spenden

    Partei der Arbeit Österreichs
    IBAN: AT10 2011 1824 2361 8700
    BIC: GIBAATWWXXX