Am vergangenen Donnerstag, 3. August 2017, stirbt ein Rekrut des österreichischen Bundesheeres im Zuge eines Stationsmarsches – einer gemischten Übung aus Marschdrill und Fertigkeitstraining. Der Wehrpflichtige ist erst 19 Jahre alt und im ersten Monat seiner Grundausbildung im niederösterreichischen Horn. Die nächstgelegene Wetterstation in Langenlois weist für diesen Tag Höchsttemperaturen jenseits von 35 Grad Celsius aus – für das Waldviertel ein Hitzerekord.
Die Armeeführung tut den Todesfall zunächst als Unfall ab, erfindet eine angebliche bakterielle Infektion des Rekruten. Nun sind die Obduktionsergebnisse der Kremser Gerichtsmedizin da: Die Infektion gab es nicht. Die Todesursache ist der Überhitzung des Körpers geschuldet, die zu Herzstillstand und Organversagen führte. Einfach gesagt: Der Körper des jungen Mannes war der großen Anstrengung unter sengender Sonne physisch nicht gewachsen. Rücksichtnahme ist bei den schwer bepackten Gewaltmärschen des Bundesheeres nicht vorgesehen, denn das unerbittliche Motto lautet: „March or die!“ – Der Rekrut wurde von seinen Ausbildnern und Vorgesetzten zu Tode geschunden. Anders kann man es nicht formulieren.
Klingt wie eine Geschichte aus der verblichenen k.u.k. Armee, die sich auf einen Tropen- oder Wüstenfeldzug vorbereitet, doch es ist das aktuelle österreichische Heer, das in vielerlei Hinsicht auf dem Stand des 19. Jahrhunderts verharrt. Nicht ganz so lange, nämlich genau 110 Jahre ist es her, dass Karl Liebknecht in seiner Schrift „Militarismus und Antimilitarismus“ die körperlichen und seelischen Misshandlungen und Entwürdigungen der Wehrpflichtigen umfassend darstellte und anprangerte, die damals zur Durchsetzung unbedingter Unterwerfung und zur Brechung jegliches eigenen Willens angewendet wurden. Offenbar hat sich im 21. Jahrhundert nicht so viel geändert, wie man hoffen möchte. Der Berufsstand des Soldatenschinders feiert fröhliche Urstände im beruflichen Kern des Bundesheeres. Bewusst herbeigeführte oder allenfalls in Kauf genommene psychische Probleme und gesundheitliche Schädigungen der Grundwehrdiener sind keineswegs ein Einzelfall. Grundlegende Menschen- und Bürgerrechte werden den Rekruten immer noch am Kasernentor abgenommen.
Das ist nicht nur menschenverachtend, sondern kriminell. Welche Berechtigung und ausbildungstechnische Notwendigkeit mag oder soll es denn geben, einen freien Staatsbürger inmitten der größten Hitzewelle dieses Sommers mit 30 Kilogramm Marschgepäck durch die niederösterreichische Pampa zu jagen? Welche gewissen- und rücksichtslosen Sadisten werden im Grundwehrdienst eigentlich auf die Söhne und Töchter unseres Landes losgelassen? Verteidigungsminister Doskozil wird darauf Antworten finden müssen. Was wusste er? Warum wurde nichts unternommen? Wieso ist ein sozialdemokratischer Kriegsminister genauso beschissen wie einer der ÖVP oder FPÖ? Und die Verantwortlichen müssen zu eben ihrer Verantwortung gezogen werden. Dies sind die unmittelbaren Erfordernisse.
In grundlegender Hinsicht muss sich einiges ändern: Das Bundesheer kann kein de facto rechtsfreier Raum sein, in dem die Rekruten den Vorgesetzten und Ausbildnern auf Gedeih und Verderb ausgeliefert sind – es muss demokratische, kollektive und individuelle, unveräußerliche Rechte geben, die der Willkür Einhalt gebieten; eine Beschwerdebehörde, die nur den Soldaten verpflichtet ist; eine Ausbildung der Ausbildner, die menschenrechtliche Schwerpunkte setzt; und nicht zuletzt eine umfassende Demokratisierung des Heeres, inklusive der Wählbarkeit der Vorgesetzten durch die Untergebenen; abschließend: die Umwandlung des Bundesheeres in eine reine Milizarmee, deren berufssoldatischer Kern auf das zur Leitung und Ausbildung nötige Minimum reduziert wird.
Natürlich sind das zum Gutteil utopische Forderungen. Der kapitalistische Staat im Zeitalter des Imperialismus nährt den Militarismus als eine seiner Hauptstützen und als Aggressions- wie Repressionswerkzeug nach außen wie im Inneren. Österreich als kleinerer imperialistischer Staat, der in die zunehmend militarisierte EU integriert sowie über die so genannte „Partnerschaft für den Frieden“ in die NATO eingebunden ist, unterhält jene Armee, die von den Herrschenden benötigt wird. Ein toter Rekrut in der Grundausbildung ist da nur ein Kollateralschaden. Die hundertfachen Misshandlungen, Erniedrigungen und Quälereien, die jeder Grundwehrdiener direkt oder indirekt (mit-)erlebt, gelten landläufig allzu oft als nötiges Übel einer disziplinierten Armee. Dass damit Schluss gemacht werden muss, ist dem Menschenverstand leicht verständlich. Ob damit Schluss gemacht werden kann, ist eine Frage der antimilitaristischen Aufklärung und Organisierung in der Bevölkerung.
In der Zwischenzeit bietet sich an: Herrn Doskozil müsste man einen 30-kg-Rucksack umhängen, ihn in Allentsteig aussetzen und ihn auf den Fußmarsch zur Familie des toten Rekruten schicken, wo er sich in seiner letzten Amtshandlung in den Staub werfen und in aller Form entschuldigen möge. Den Augiasstall Bundesheer soll dann ein anderer säubern. Aber prompt!
Tibor Zenker, stv. Vorsitzender der Partei der Arbeit Österreichs