Die neue EU-Linke ist eine Chimäre der Hoffnung

EU_zerfeztvon Gerhard Oberkofler
Parteien wie Syriza versprechen den Massen ein Ende der Sparpolitik, rühren aber nicht an existierenden Klassenverhältnissen und gehen sogar hinter die erste Aufklärung zurück. Die Koalition mit den Rechten war daher aus marxistischer Sicht kein Zufall
Erstaunlich und doch auch wieder nicht, wie die neue Linke in der EU, sei es in Griechenland oder Spanien, als reanimierte alte sozialdemokratische Tante zur Hoffnungsträgerin von vielen verarmten und von der Armut bedrohten Menschen allein mit dem Versprechen, die Austeritätspolitik aus Brüssel zu mildern, geworden ist. Die Massenmedien, die zum tragenden Instrumentarium der herrschenden antagonistischen Verhältnisse in dieser Gesellschaft gehören, sind im Besitz von wenigen kapitalkräftigen Konsortien und stören sich an dieser linken Wahlagitation und den dar- aus resultierenden Wahlergebnissen überhaupt nicht. Das “Urnenvolksspiel” bleibt ein nützlicher Unterhaltungswert. Weshalb?
Die neue EU-Linke rührt überhaupt nicht an den Grundfesten des vorherrschenden gesellschaftlichen Bewusstseins in Europa, sie festigt es vielmehr. Nirgends in Europa gibt es eine von einem revolutionären Klassenbewusstsein getragene akute revolutionäre Situation. Die neue EU-Linke, wie sie jetzt angeboten wird, soll als neue Chimäre der Hoffnung die sozialdemokratischen Parteien gegebenenfalls ersetzen. We can change – gilt mit denselben Ergebnissen nicht nur für die USA, sondern auch für die EU!
Die neue linke Volkspartei eröffnet selbst in ihrer Rhetorik nirgends eine Perspektive hin zum realen Humanismus, sie vernebelt die existierenden Klassenverhältnisse, wenn sie von der ideellen Gemeinsamkeit der “Bürgerinnen und Bürger der EU” faselt, und geht mit solchen Losungen sogar hinter die erste Aufklärung zurück. Einer deren hervorragenden Vertreter war Jean-Jacques Rousseau: “Nichts ist gefährlicher als der Einfluss der Privatinteressen auf die öffentlichen Angelegenheiten.” – “Kein Staatsbürger darf so reich sein, um sich einen anderen kaufen zu können, und keiner so arm, um sich verkaufen zu müssen. Duldet weder Reiche noch Bettler.”
Kein Wort, jedenfalls kein hier publiziertes, kommt von der Syriza und ihren aus Brüssel gesponserten antikommunistischen Transform- Propagandisten über die von Europa mit seinem Hegemon ausgehenden oder unterstützten Angriffskriege bis hin zum Hindukusch oder zu Ländern, deren präfaschistische oder faschistische Régime materiell und ideologisch unterstützt werden.
Kein Wort von der Kriegsrüstung und den Waffenexporten oder vom rasanten Ausbau der staatlichen Machtapparate nach innen und außen, kein Wort von der Mauer am Mittelmeer, an der flüchtende Menschen ertränkt werden usw., und natürlich kein Wort von der weltweiten materiellen und geistigen Verelendung.
Die neue linke Volkspartei des Südens ist gewiss nicht nur eine kleinbürgerliche Rebellion, es gibt viele Widersprüche, insgesamt ist aber das sogenannte “Textbuch” eher die zeitgemäße Abschrift jener Parteiprogramme aus den Jahren der Weltwirtschaftskrise vor dem Zweiten Weltkrieg, die zur Faschisierung beigetragen haben. So ist das Bündnis von Syriza mit der extremen Rechten in Griechenland auch kein Zufall. Europa braucht nach wie vor eine zweite Aufklärung!
Gerhard Oberkofler (73) ist pensionierter Universitätsprofessor für Geschichte der Universität Innsbruck. Er beschäftigt sich aus marxistischer Sicht unter anderem mit NS-Vergangenheit und der Geschichte der Arbeiterbewegung.
Erschien am Freitag den 12. Februar auf derstandard​.at (“Meinung der Anderen”), vom Autor genehmigte Nachveröffentlichung.

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