Hintergründe zum neuen Lehrerinnendienstrecht
von Peter Ostertag, Salzburg
Die Studie „Lehrer 2000“, im nämlichen Jahr vom Bundesministerium (BM) in Auftrag gegeben, hält als Ergebnis fest, dass die durchschnittliche Arbeitszeit der österreichischen LehrerIn, umgerechnet auf die Jahresarbeitszeit, dem üblichen Stundenmaß des Werktätigen in Österreich entspricht. Die Studie wird seither vom BM konsequent nicht erwähnt, weil das Ergebnis nicht ins Konzept passt.
Das Argument der angeblich geringen Arbeitszeit dient aber gerade wieder dazu, das neue Lehrerinnendienstrecht zu rechtfertigen. Es heißt, dass österreichische LehrerInnen im internationalen Vergleich weniger Zeit in der Klasse mit den SchülerInnen verbringen. Das stimmt, berücksichtigt aber nicht, dass LehrerInnen in Österreich viel mehr unterrichtsfremde Tätigkeiten übernehmen müssen als jene in anderen europäischen Ländern. Das neue Dienstrecht sieht genau das, nämliche die LehrerInnen von diesen Tätigkeiten zu entlasten, nicht vor. Im Gegenteil: LehrerInnen haben deutlich mehr Stunden in den Klassen zu halten UND müssen alle anderen Tätigkeiten übernehmen.
Die Teilnahme an der sogenannten TALIS-Studie, die die Arbeitssituation von LehrerInnen in verschiedenen europäischen Ländern vergleicht, wurde vom BM wegen angeblich zu hoher Kosten abgesagt. Der Grund für die Absage ist aber vielmehr, dass die Studie in den vergangenen Ausgaben aufgezeigt hat, dass das österreichische Schulsystem das Schlusslicht Europas ist, was die Unterstützung der LehrerInnen durch Verwaltungspersonal und Personal in pädagogischen und psychologischen Belangen betrifft.
Was zur Belastung der österreichischen LehrerInnen naturgemäß erheblich beiträgt.
Unterstützendes Personal im Sinne von Psychologen oder Sozialarbeitern, wie sie in anderen Ländern üblich sind (etwa im Vorzeigemodell Finnland), gibt es in Österreich kaum. Im neuen Dienstrecht ist davon keine Spur zu finden, und entsprechende Pläne sind, wenn sie denn je existiert haben sollten, angesichts der wieder einmal angespannten Budgetsituation („Budgetloch“) längst entsorgt. Um unterstützendes Personal für Integrationsklassen, um Sprachhheil- und BeratungslehrerInnen, Sonderschulpädagogen muss einzeln gekämpft werden, sie werden eingespart, wo es nur geht.
Manche Schulen versuchen deshalb über private Spenden des Elternvereins oder anderer Sponsoren etwa einen Schulpsychologen zu finanzieren. Die Schulbehörde sieht solches Engagement sehr gern, beweist es doch, dass die Dinge auch so funktionieren, und können sich aus ihrer Verantwortung für die Gesundheit der SchülerInnen stehlen.
SchülerInnen gelten heute als schwieriger als früher. Möglicherweise sind sie es tatsächlich, ich vermute deshalb, weil die Jugend ein Spiegel der Gesellschaft ist und ihre Widersprüche, Neurosen und Depressionen widerspiegelt.
Das Bundesministerium wirbt gerne mit Individualisierung,- dass diese durch eine verlängerte Präsenz in den Klassen erreicht werden kann, wenn die Lehrerin also mehr SchülerInnen betreuen muss, ist völlig unrealistisch.
Der vielleicht unverschämteste PR-Gag des BM ist allerdings die seit Jahren kolportierte Schülerhöchstzahl von 25 in den Klassen: sie gilt – wie leider erfolgreich verschwiegen – nur für die erste Klasse der Unterstufe/Hauptschule/Neue Mittelschule. In allen anderen Schulstufen ist die Höchstzahl wie eh je 34+2 (also mit Maximum 34, das aber noch um 2 überschritten werden darf). Ab der 6. Schulstufe darf, kann oder muss man Klassen zusammenlegen oder neu verteilen. Da kann man als LehrerIn in einer Oberstufe durchaus vor 36 SchülerInnen stehen (meine eigene Klasse vor zwei Jahren), das ist völlig legal. Die Schulbehörde erlaubt dann gnädig eine Gruppenteilung in Mathematik,- aber nur dort.
Der Arbeitsplatz der österreichischen LehrerIn ist der Klassenraum, – einen anderen gibt es jedenfalls nicht. Es sei denn, man bezeichnet den halben Quadratmeter, den man üblicherweise im Konferenzzimmer besetzen darf, als solchen. Und den zeitlichen Anteil an 4 Computern, die man sich dort mit mehr als 50 KollegInnen teilt. Eine durchgehende Anwesenheit der Lehrerin in der Schule – die immer wieder im Raum steht – ist in Österreich aus diesen praktischen Gründen undenkbar!
Anspruch auf einen Arbeitsplatz sinnvoller Dimension, wie er in jeder Firma arbeitsrechtlich eingeklagt werden kann, gibt es nicht.
Natürlich führt das dazu, dass LehrerInnen sich zu Hause einen Arbeitsplatz einrichten müssen. Wer Glück hat, kann sich ein Arbeitszimmer einrichten (dieses aber nicht von der Steuer absetzen). Weniger Glückliche stapeln ihre Hefte, Bücher und Skripten im Wohn- oder Schlafzimmer.
Arbeitsmediziner, die neuerdings in den Schulen auftauchen, beschäftigen sich mit solchen Dingen nicht. Ihre Aufgabe ist es, den LehrerInnen Strategien beizubringen, mit der prekären Raumsituation, zeitlichen Überlastung und dem Gefühl der pädagogischen Ohnmacht irgendwie klarzukommen. Positives Denken ist angesagt und soll reale Entlastungen ersetzen.
Das neue LehrerInnendienstrecht löst kein einziges dieser Probleme, es erhöht bloß den Zeitdruck und damit den Arbeitsdruck auf die LehrerInnen bei gleichzeitiger Verringerung der Lebensverdienstsumme (wie Berechnungen der Gewerkschaft nachgewiesen haben). Es ist ein Sparpaket, das sich als Reform verkauft. Die neoliberalen „Reformen“, die in anderen Branchen schon längst üblich sind, sind damit auch bei den LehrerInnen angekommen (es wundert nicht, denn die Maßnahmen wurden angeblich von einer großen Unternehmensberatung entworfen). Für die Werktätigen in anderen Branchen sollte das kein Grund zur Schadenfreude sein, sondern ein Anlass zu Solidarität. Gegen die Zumutungen des neoliberalen Regimes können wir uns nur gemeinsam wehren.