Zur österreichischen EU-Ratspräsidentschaft

Erklärung der Partei der Arbeit Österreichs (PdA), Wien, 1. Juli 2018

Mit 1. Juli 2018 übernimmt Österreich turnusmäßig für sechs Monate den Vorsitz im Rat der Europäischen Union. Dies betrifft insbesondere die Tagungen des Rates für Allgemeine Angelegenheiten (der Europa- und/oder AußenministerInnen) sowie die Treffen der sonstigen FachministerInnen der EU-Mitgliedstaaten, bei denen Gernot Blümel bzw. dessen ressortzuständige RegierungskollegInnen als Gastgeber fungieren werden.

Gegenüber dem Europäischen Rat (der Staats- und Regierungschefs) unter Leitung Donald Tusks, der Europäischen Kommission (Jean-Claude Juncker) und dem Rat für Auswärtige Angelegenheiten (Federica Mogherini) sind die Kompetenzen und Möglichkeiten der halbjährlich wechselnden EU-Ratspräsidentschaft begrenzt. Einige der nun anstehenden politischen Inhalte sind fix vorgegeben (z.B. Verhandlungen über Brexit, EU-Förderprogramme und den mehrjährigen Finanzrahmen). Die Themen Flucht, Asyl und Migration setzen sich gewissermaßen von selbst fast permanent auf die EU-Agenda, was der ÖVP/FPÖ-Regierung von Sebastian Kurz aber ohnedies zu passe kommt.

Für die dritte österreichische EU-Ratspräsidentschaft nach 1998 und 2006 hat die rechtskonservative Wiener Regierung das Motto „Ein Europa, das schützt“ gewählt. Die geografische Tatsache, dass der Großteil Europas außerhalb der EU liegt, sei geschenkt. Was Kurz, Strache, Kickl und Konsorten mit diesem Slogan jedoch an vorderster PR-Front meinen, ist klar: „Geschützt“ werden müssen die EU-Außengrenzen vor Flüchtenden, nicht aber etwa Flüchtende vor Krieg, Terror, Mord und Verfolgung – ein widerlicher Zynismus, der Ausdruck menschenfeindlicher Haltungen, aber auch politischer Ablenkungsmanöver ist.

Denn gleichzeitig beweist die Regierung auch im Inland, was nicht schützenswert ist, nämlich die Interessen und Bedürfnisse der arbeitenden Menschen und der sozial Schwachen, demokratiepolitische Standards, Persönlichkeits‑, Bürger- und Menschenrechte. Die offenen und direkten Angriffe auf den Achtstundentag, auf Elemente der ArbeitnehmerInnen-Selbstverwaltung und den gewerkschaftlichen Einfluss, auf die ohnedies zu geringe Mindestsicherung oder auch auf die Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sprechen eine deutliche Sprache. Wenngleich auch die vergangenen SPÖ-geführten Regierungen in der Praxis letztlich systemkonforme Lakaien des Kapitals waren, so vertritt die Regierung Kurz nun ganz ungeniert und mit neuer Intensität das Wunschprogramm der Industriellenvereinigung, der Banken und der Agrarkonzerne. Für die Arbeiterklasse bedeutet dies verschärfte Ausbeutungsbedingungen, für das Kapital optimierte Profitmaximierung. Da sich die Regierung dieser Konfrontationslinie bewusst ist, gehen mit ihr geplante Ausweitungen der Befugnisse, der Schlagkraft und der Repressionsmöglichkeiten im Bereich der Polizei, der Nachrichtendienste und des Bundesheeres einher, die sich allesamt in der Hand der extremen parlamentarischen Rechten befinden, ergänzt durch eine entsprechende Ausrichtung im Justizbereich. Militarisierung und Aufrüstung sind beim Thema „Sicherheit“ ohnedies allgegenwärtig. Die Teilnahme Österreichs an der neuen EU-Militärstruktur PESCO haben allerdings der damalige SPÖ-Bundeskanzler Christian Kern und Außenminister Kurz noch gemeinsam beschlossen – womit klar gesagt ist, dass die österreichische Neutralität offenbar ebenfalls nichts Schützenswertes darstellt, weder für die ÖVP noch für die Sozialdemokratie.

Auch auf internationaler Ebene hat sich die Regierung Kurz/Strache in den letzten Wochen deutlich positioniert: Wenngleich es hier auch bilaterale, nämlich transnational wirksame sozialpolitische Differenzen gibt, so stellt sich die ÖVP/FPÖ-Koalition bewusst an die Seite der Visegrád-Staaten, damit an die Seite Viktor Orbans und der polnischen Regierung. Sie sucht die Übereinkunft mit dem fremdenfeindlichen Teil der neuen italienischen Regierung, was auch für Deutschland gelten dürfte: Bundeskanzler Kurz unterstützt offen Innenminister Horst Seehofer und die bayrische CSU, während FPÖ-Vertreter sogar bei AfD-Veranstaltungen auftreten.

Ein etwas konkreteres Interesse verfolgt die österreichische Regierung am so genannten „Westbalkan“: In einer Region, in der nicht nur das österreichische Monopolkapital neben dem deutschen und italienischen auf imperialistische Weise tonangebend, sondern auch noch das österreichische Bundesheer als relevanter Teil der EU-Okkupationsarmee stationiert ist, sollen Montenegro, Albanien, Nordmazedonien, der Pseudostaat Kosovo, partiell Bosnien-Herzegowina und vielleicht Serbien enger an die EU gebunden, d.h. von ihr weiter abhängig gemacht werden, ohne dass eine baldige EU-Vollmitgliedschaft zwingend folgen müsste. Mit Hilfe der EU will der eigenständig begrenzte österreichische Imperialismus hier seinen Hinterhof unter maximale Kontrolle bringen und ausweiten. Dies ist der etwas substantiellere Kern der von Kurz propagierten „Achse Wien-Berlin-Rom“ mit allen historischen und „neokolonialen“ Implikationen.

Ungeachtet der Rolle und Bedeutung der österreichischen Ratspräsidentschaft, markiert die EU grundsätzlich das „Europa“ der Banken, Konzerne und Militärs. Als imperialistisches Bündnis steht sie für Aggression nach außen und Repression nach innen, für die durchdringende Herrschaft des Monopolkapitals und die – auch antizipierte – Niederhaltung emanzipatorischer und potentiell revolutionärer Kräfte des Widerstandes. Dieser Wesensinhalt der EU macht es zu einer Illusion, sie in ein Werkzeug des sozialen und demokratischen Fortschritts sowie des Friedens verwandeln zu wollen. Und im Konkreten wird sie keinen ernsthaften Kontrapunkt zur sozialreaktionären, menschenfeindlichen Politik der österreichischen Regierung setzen, denn die EU und die österreichische Regierung sind weitestgehend kompatibel und keinesfalls ein Gegensatzpaar. Sie ergänzen einander.

Da erschiene es naheliegend, wichtige EU-Treffen der Ratspräsidentschaft – wie in der Vergangenheit – durch große Kundgebungen oder sonstige Protestmaßnahmen des Europäischen Gewerkschaftsbundes (EGB) zu begleiten. Doch die sozialdemokratisch dominierte EGB-Führung in Brüssel wie jene des ÖGB verzichtet offenbar darauf, gegen die Problemfelder Austeritätspolitik, Sparzwang, Privatisierungsdiktat, EU-Entsenderichtline oder Arbeitszeitregelungen im internationalen Kontext zu mobilisieren.

Vor diesem Hintergrund erachtet es die Partei der Arbeit Österreichs als ihre gegenwärtige Aufgabe, gemeinsam mit ihren nationalen und internationalen Verbündeten den Widerstand zu organisieren:

  • den Widerstand gegen die asoziale, repressive und fremdenfeindliche Politik der österreichischen Regierung im Dienste des Kapitals und ihrer eigenen PR-Maschinerie;
  • den Widerstand gegen die Versuche der SPÖ- und ÖGB-Führung, den gesellschaftlichen Unmut in die Bahnen ihres heuchlerischen permanenten Wahlkampfes im Sinne eines „klassenharmonischen“ Sozialpartner-Kapitalismus zu lenken;
  • den Widerstand gegen die Ausweitung der imperialistischen Ausbeutung Ost- und Südosteuropas durch das österreichische Großkapital;
  • den Widerstand gegen die weitere Institutionalisierung der demokratischen und Souveränitätsverluste zugunsten der deutsch-französischen EU-Dominanz und des westeuropäischen Monopolkapitals;
  • den Widerstand gegen die militärische Aufrüstung, Kriegstreiberei, Interventions- und Okkupationspolitik der EU und der NATO.

Gestärkt durch die Teilnahme an den Kämpfen der Arbeiterklasse und deren Aufklärung und Organisierung, ist es das schließliche Ziel der Partei der Arbeit Österreichs, nicht nur die gegenwärtige österreichische Regierung und das EU-Diktat ins politische Ausgedinge zu befördern, sondern den Imperialismus und Kapitalismus mitsamt all’ ihren politischen, wirtschaftlichen und medialen Herrschaftsinstrumenten, Institutionen und Bündnissen zu überwinden. Dies wird den Weg zu einer Zukunft ohne Ausbeutung, Unterdrückung und Krieg eröffnen, den Weg zu einem Europa und einer Welt der Völkerfreundschaft und der Solidarität, den revolutionären Weg zum Sozialismus und zur klassenlosen Gesellschaft.

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