Über das schielende Augenmaß der Landesregierung

Ein Kommentar von Tobia Carfora, Vorsitzender des KSV Innsbruck und Spitzenkandidat bei der ÖH Wahl in Innsbruck

„Wir gehen in Tirol konsequent den Weg des gesellschaftlichen Miteinanders. Alle Menschen, die in Tirol Hilfe benötigen, werden diese weiterhin in vollem Umfang bekommen. Denn die Verhinderung der sozialen Ausgrenzung ist ein elementarer Bestandteil für das langfristig friedliche Zusammenleben“[1] hieß es noch vor knapp einem Jahr laut Landesrätin Christine Baur (Die Grünen). Nach der Bankrotterklärung sozialer Kompetenz in Oberösterreich distanzierte sich die Landesregierung Tirol von dem Negativbeispiel: „Wir weichen von unserem Grundsatz nicht ab: Wir bekämpfen die Armut und nicht die Armen“[2], so Baur. Da braucht nur ein Jährchen zu vergehen, und schon hat man alle guten Vorsätze auch schon wieder vergessen.
Die Mindestsicherung wird faktisch weiter verkürzt. Ab Juli läuft das asoziale Programm. Von 2010 bis 2016 stieg die Zahl der MindestsicherungsempfängerInnen in Tirol von 11.500 auf 17.144[3], insgesamt betrugen die Ausgaben 56 Mil. Euro. Grund genug zur Sorge für die Pfennigfuchser in der Landesregierung radikal durchzugreifen. Sonst könnte man ja noch zum Schluss kommen, die Landesregierung würde das vorgegebene Ziel, Armut zu bekämpfen, ernst nehmen.
Wie sieht´s aber nun genau mit der hochgelobten „Reform“ aus? Oder, besser gesagt: Wie schafft man es, eine Rechtfertigung für die eigene Unzulänglichkeit als Erfolg zu präsentieren? Der Tarif für Menschen, die in Wohngemeinschaften leben, wird von 633 auf 473 € pro Person gekürzt. „Ziel war es, die Mindestsicherung so zu gestalten, dass die Bevölkerung nicht den Eindruck hat, dass es sich lohnt in der sozialen Hängematte zu liegen”[4], so der ÖVP-Klubobmann Jakob Wolf. Denn da liegen ja schon lange unsere überbezahlten PolitikerInnen, die haben es dort gemütlich und eine Hängematte ist ja schließlich nur ein anderes Wort dafür, wie geizig das Land Tirol seine Leute behandelt. Die Argumentation schwankt wie folgt: durch gemeinsames „Wirtschaften“ würden sich „Synergien“ ergeben, die wie von selbst zu „weniger Ausgaben“[5] führen sollen. Klingt nachgerade zynisch realistisch, denn wem die bitter nötige Mindestsicherung um 160 € gekürzt wird, der muss wirklich „synergetisch“ an die Sache herangehen und sich entweder kaputtsparen, um trotzdem zu überleben oder sich das Geld woanders beschaffen, womit wir noch zwei weitere kryptische Slogans verstehen können: „Arbeitszeitflexibilisierung“ und „Anreize für den Arbeitsmarkt schaffen“.
Andererseits müssen sich die WG-PartnerInnen künftig sowieso keine Gedanken mehr darüber machen, wo sie denn wohnen sollen: Der zuständigen Behörde wird nämlich die Möglichkeit eingeräumt, MindestsicherungsempfängerInnen eine Wohnung zuzuweisen, und wenn sich diese MindestsicherungsempfängerInnen auch noch eine eigene Meinung in der Wohnungssuche erlauben wollen, „kann dies zum Wegfall der Wohnleistung führen.“
Wohnbeihilfe wird zudem gedeckelt, d.h. es werden nur noch Kosten übernommen, die im Wohnkostendurchschnitt eines Bezirks liegen, unabhängig davon, wie hoch die Miete individuell liegt. Das erspart den Behörden dann namentlich viel Zeit, v.a. aber Geld, und es fördert die typisch bürgerliche Art der Gleichmacherei.
Es steht dann noch eine Staffelung der Mindestsicherungssätze für Kinder bevor: 1. und 2. Kind: 24,75 Prozent; 3. Kind: 22,75 Prozent; 4 bis 6. Kind: 15 Prozent; ab dem 7. Kind: 12 Prozent. In der Regierung weiß man ja arme Menschen haben meist viele Kinder und da soll schließlich kein finanzieller Anreiz bestehen, die soziale Hängematte auch noch für den Nachwuchs zu vergrößern.
Die Anspruchsberechtigung wird teils eingeschränkt, teils ganz weggekürzt. Nicht erwerbsfähige EU-BürgerInnen und Staatsangehörige anderer Vertragsstaaten des EWR-Abkommens kriegen in den ersten 3 Monaten keine Unterstützung, nach drei Monaten auch nur die, die bereits Arbeit gefunden oder selbständig sind. Damit hält man sich „insbesondere Hartz-IV-Bezieher aus Deutschland“[6] vom Leibe, denn die haben dann ja keinen Grund mehr, nach Tirol zu kommen, wenn sie hier das genauso verkorkste System vorfinden wie bei sich zuhause.
Nun zum absurdesten Teil der Konterreform: Schaffung und Institutionalisierung eines Tiroler „Integrationskompasses“. Schon während des Asylverfahrens müssen AsylwerberInnen nun Deutsch‑, Orientierungs- und sog. „Werte“kurse belegen. Sonst muss der/die AsylwerberIn Kürzungen bis 66% der Mindestsicherung befürchten, (wenn er/sie überhaupt etwas bekommt)[7]. Gut zu wissen, dass man Werte inzwischen mit Geld bemessen kann. Damit wurde ein altes philosophisches Problem endlich gelöst.
Mit anderen Worten heißt das aber nichts anderes, als dass man als AsylwerberIn innerhalb kürzester Zeit eine neue Sprache, österreichische Ethik und schleunigst eine Berufsorientierung im unteren Mindestlohnbereich absolvieren muss, um sich für die paar Kröten mehr qualifizieren zu können. Was bleibt sind gut und leicht auszubeutende Produktivkräfte, die gefälligst froh darum sein sollten und beim ersten Fehltritt oder Rückschlag wieder zurück in die Tonne geworfen werden können. Das nennt sich dann Win-Win-Situation für Kapital und Billiglohnkraft.
Auf der anderen Seite der Logik spricht I. Felipe (Die Grünen) von einem Modell „mit Augenmaß und Balance“, und meint: „Wir beweisen, dass man auch in turbulenten Zeiten helfen kann.“[8], LH G. Platter (ÖVP) bestätigt zudem: „Der Regierungsbeschluss ist paktiert und das Thema damit erledigt.“ Widerstand zwecklos, die Novelle wird über den Köpfen der Betroffenen hinweg durchgesetzt werden. Demokratische Partizipation? Bullshit!

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